Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan und Außenminister Frank-Walter Steinmeier haben am Samstag die Verantwortung jedes Einzelnen für den Frieden betont. „Tatenlosigkeit ist keine Haltung“, sagte der Außenminister bei der Kirchentags-Debatte „Die Welt ist aus den Fugen“. Unser Live-Blog zum Nachlesen.

Stuttgart - Die Organisatoren des Kirchentags wissen, wie man Bedrohung inszeniert – und auch Hoffnung. Zwei talentierte Musiker an Cello und Saxofon bilden den Strudel ab, in den eine krisengeschüttelte Welt zu versinken droht – und das Anstrampeln dagegen. Die beiden Virtuosen machen ihren Job, wenige Minuten bevor Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Kofi Annan, der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, in ihren Vorträgen bei der Kirchentagsveranstaltung „Die Welt ist aus den Fugen“ einhellig die Verantwortung jedes Einzelnen für den Frieden betonen.

 

„Frieden lässt sich nicht herbeiwünschen. Frieden muss erarbeitet werden“, sagte Steinmeier in seinem Vortrag, in dem er auf die Losung dieses Kirchentags einging: „Klug ist, aus der Welt einen friedlicheren und gerechteren Ort zu machen.“ Nichtstun sei keine Alternative: „Als Christenmenschen tragen wir Verantwortung für unser Handeln genauso wie für unser Nichthandeln“, erklärte der Außenminister. Mit Blick auf die Krisenherde im Nahen Osten, in der Ukraine und in Afrika sprach sich Steinmeier für eine starke Rolle Deutschlands beim globalen Krisenmanagement aus: „Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache – das gilt auch in der Außenpolitik.“ Gleichzeitig plädierte Steinmeier für für eine Stärkung der Vereinten Nationen: „Die Uno ist vielleicht nicht der Sitz der Weltvernunft, aber das Klügste, was wir nach zwei Weltkriegen hervorgebracht haben“, sagte der Außenminister, ehe er seine Rede in der Stuttgarter Schleyerhalle mit zwei griffigen Formeln beendete: „Tatenlosigkeit ist keine Haltung!“ sowie „Wir dürfen uns von der Ohnmacht nicht überwältigen lassen!“

Einigkeit bei Annan und Steinmeier

Dem stimmte sein „Freund“ Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen von 1997 bis 2006, vollinhaltlich zu: Im Zeitalter schneller Massenmedien funktioniere eine Vermeidungsstrategie nicht mehr: „Wir können nicht länger sagen, wir hätten nichts gewusst“, mahnte Annan. Er findet: „Solidarität ist das, was uns menschlich macht.“ Als ein Mittel zur Krisenintervention forderte der Friedensnobelpreisträger in Stuttgart, die Vereinten Nationen, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank „zu reformieren und zu demokratisieren“. Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien sollten seiner Ansicht nach mehr Einfluss in den Entscheidungsgremien der drei Institutionen erhalten, erklärte Annan – eine Forderung, die sein „Freund“ Steinmeier am Samstag in der Schleyerhalle ausdrücklich unterstützte.

Als eine der großen Herausforderungen dieser Zeit bezeichnete Kofi Annan neben der Umsetzung der Schutzverantwortung der Vereinten Nationen und dem Kampf gegen den Klimawandel die globale Migration: „Die werden wir nicht lösen, indem wir höhere Mauern bauen“, warnte Annan, der am Schluss seines Vortrages ähnlich entschieden an die Verantwortung jedes Einzelnen appellierte wie zuvor Steinmeier: „Niemand ist zu jung, um zu führen. Niemand ist zu alt, um zu handeln“, erklärte der Ex-Chef der Vereinten Nationen.

Im anschließenden Diskussionsteil waren sich Steinmeier und Annan auch in ihrer kritischen Haltung zu militärischen Lösungsansätzen einig: Steinmeier kritisierte erneut die militärische Intervention des Westens im Irak als Ursache vieler Probleme in der Gegenwart. In Libyen sei derselbe Fehler wieder gemacht worden: „Was wir aus dem Irak hätten lernen können: Wenn man eine staatliche Ordnung zerstört, sollte man wissen, wie der zweite Schritt aussieht“, sagte Steinmeier. Und Annan erklärte, dass islamistischer Terrorismus nicht eindämmbar sei, indem man allein auf militärische Gewalt setze.

Nur – was tun? Zumal Steinmeier und Annan beide die Einschätzung des ebenfalls aufs Podium geladenen Bischofs von Leeds, Nick Baines, teilen, die da lautet: „Sprechen alleine schafft keinen Frieden.“ Baines selbst beantwortete diese Gretchenfrage so einfach wie griffig: „Follow Jesus!“ Annan und Steinmeier appellierten an das Durchhalten, das Nicht-Resignieren, an die kleinen Schritte auch im persönlichen Umfeld: „Wir sollten keine ahnungslosen Zuschauer sein“, sagte Annan. Tosender Beifall in der vollen Halle.

So war es bei der Veranstaltung in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Unser Blog zum Nachlesen. Alle Berichte zum Kirchentag finden Sie unter www.stuttgarter-zeitung.de/kirchentag.