Eine Medizinerin von der Uni Freiburg warnt in einem Vortrag vor der schädlichen Wirkung von Kokosöl – und sorgt damit im Netz für Aufsehen. Was ist dran an ihrer Kritik? Gibt es wirklich gute und schlechte Fette?

Stuttgart/Freiburg - Kokosöl sei reines Gift, warnte kürzlich die Freiburger Medizin-Professorin Karin Michels. Ihr 50-Minütiger Vortrag wurde bei Youtube zu einem Hit.

 

Was ist die Kritik?

Kokosöl wurde auf Blogs und Ernährungsseiten im Internet lange als besonders verdaulich und gesund gehandelt, mitunter gar als Schlankmacher und Superfood. In ihrem Vortrag bezeichnete die Freiburger Präventionsmedizinerin die Mythen ums Kokosöl als „völligen Quatsch“. Zum Beispiel die Annahme, dass das Öl besonders gut vom Körper verarbeitet würde, schlank mache oder gegen Viren wirke. „Kokosöl ist eines der schlimmsten Lebensmittel, die Sie überhaupt zu sich nehmen können“, sagte Karin Michels. Über eine Million Mal wurde ein Video von ihrem Vortrag bereits auf der Internetplattform Youtube angeklickt.

Wie schätzen andere Wissenschaftler und Ernährungsexperten die gesundheitliche Wirkung von Kokosöl ein?

„Kokosöl ist definitiv nicht das Wundermittel, für das viele es lange gehalten haben“ bestätigt Stefan Lorkowski, Professor am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Jena und und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Zwar sei der Vortrag von Karin Michels an einigen Stellen etwas zugespitzt und stark vereinfacht – zum Beispiel in der Aussage, Kokosöl sei reines Gift. „Sonst müsste sie auch sagen, dass Butter oder Schweineschmalz Gift sind.“ Doch grundsätzlich habe Michels recht: Die Datenlage sei bei weitem nicht so, dass sie für Kokosöl besonders gesundheitsfördernde Wirkungen aufzeige.

Mehrere Fachgesellschaften – so beispielsweise die British Nutrition Foundation und die American Heart Association – warnten schon in der Vergangenheit: Der Hype um das Kokosöl sei eine Vermarktungsstrategie, wissenschaftlich aber nicht gestützt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung bewertet Kokosöl als nicht besonders positiv. Denn Kokosfett und Kokosöl enthalten – ähnlich wie Butter, Sahne, Schmalz oder Speck – große Mengen an gesättigten Fettsäuren. Diese hätten eine ungünstige Wirkung insbesondere auf die Blutfette – und würden das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern. Die DGE empfiehlt daher wie für die tierischen Schmalze auch eine sparsame Verwendung von Kokosöl.

Woher kommt die Annahme, Kokosöl könnte besonders gesund sei?

Kokosöl wird aus dem weißen Fruchtfleisch von Koksnüssen gewonnen. Tatsächlich besteht es zu etwa 92 Prozent aus gesättigten Fettsäuren. Die kommen sonst vor allem in tierischen Fetten wie Wurst oder Butter vor – und gelten eigentlich seit langem als gesundheitsschädlich, weil sie den Cholesterinspiegel erhöhen. Im Kokosöl steckt aber im Unterschied zu anderen Fetten ein hoher Anteil von Fettsäuren mittlerer Länge. Und die waren Grund für den Mythos, Kokosöl sei gesund.

Denn: Mittelkettige Fettsäuren werden – ebenso wie kurzkettige Fettsäuren – vom Organismus schneller verarbeitet als langkettige, direkt zur Leber transportiert und dort zügig in den Stoffwechsel gebracht, erklärt Ernährungswissenschaftler Lorkowski. Sie werden also nicht eingelagert und sollen den Energieverbrauch des Körpers anregen, was Grund zur Annahme gab, Kokosöl mache schlank. Bei der Aufnahme solcher mittelkettigen Fettsäuren im Körper komme es außerdem nicht zu einem Anstieg der Blutfette, sagt Stefan Lorkowski. Ebenfalls ein vermeintlich positiver Aspekt, denn ein Übermaß an Blutfetten ist ungesund und erhöht beispielsweise das Risiko von Herzerkrankungen.

Es gibt zwar Studien, die untersuchen, ob die Aufnahme von mittelkettigen Fettsäuren Effekte auf das Körpergewicht hat. Doch die Ergebnisse seien nur kurzfristig beobachtet worden, warnte in der Vergangenheit schon die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Zudem hätten die Studien teils große Schwächen – zum Beispiel, weil die Aufnahme von mittelketttigen Fettsäuren häufig im Rahmen einer viel umfassenderen Diät erfogte, und positive Aspekte somit nicht nur in Zusammengang mit den mittelkettigen Fettsäuren gebracht werden könnten. So argumentiert auch Karin Michels von der Universität Freiburg in einem Statement zu ihrem YouTube-Video: „Studien, die zu diesem Thema durchgeführt wurden, verwendeten oft speziell hergestellt Öle aus 100 % mittelkettigen Fettsäuren, nicht das kommerziell erhältliche Kokosöl – also ein völlig anderes Produkt.“

Ist Kokosöl nun tatsächlich so ungesund?

Die Datenlage speziell zu Kokosöl sei schlecht, sagt Stefan Lorkowski. Es gebe aber klare Erkenntnisse über gesättigte Fettsäuren ganz allgemein. Und Kokosöl besteht eben vor allem aus gesättigten Fettsäuren. „Es ist erwiesen, dass eine geringere Zufuhr von gesättigten Fettsäuren das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt“, sagt Lorkowski.

„In kleinen Mengen ist natives Kokosöl bestimmt nicht schädlich“, sagt Lorkowski. Doch im aufbereiteten Fett sei eben auch fast nichts mehr drin, also auch nichts Gesundes: Keine Ballaststoffe und kaum Vitamine oder Mineralien. Der Ernährungsexperte sagt aber auch: Die Frage, ob Nährstoffe Gift für den Körper seien oder nicht, sei immer auch eine Frage der Menge.

Gibt es also gute und schlechte Nahrungsfette?

Ganz so einfach, wie oft dargestellt, sei es mit den Fetten und Fettsäuren in der Nahrung nicht, sagt Stefan Lorkowski. „Man muss das immer im Rahmen der gesamten Ernährung sehen – und auf die Menge und Zusammensetzung der Fette achten, die man aufnimmt.“

Grundsätzlich könne man schon sagen: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren – wie Omega-3 aus Rapsöl oder Seefisch oder Omega-6-Fettsäuren aus Sonnenblumenöl – seien „eher die guten“, sagt Lorkowski. Gesättigte Fettsäuren würden dagegen mit Gesundheitsproblemen und Herzkrankheiten assoziiert. Vor allem Palmitinsäure – eine gesättigte Fettsäure, die vor allem in Palmöl, aber auch in Butterfett, Rindertalg und Schweineschmalz steckt – erhöhe den Gesamt-Cholesterinspiegel und auch die Konzentration des unerwünschten Cholesterins, LDL genannt.

Vor einigen Monaten verbreitete sich die Meldung, gesättigte Fettsäuren seien gar nicht so schlecht für die Gesundheit. Was ist da dran?

Klar ist: Wenn man nun zwar weniger gesättigte Fettsäuren isst, dafür aber trotzdem viel Zucker, dann hat das keinen Effekt. Denn beides erhöhe gleichermaßen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sagt Stefan Lorkowski. Daraus sollte man aber nicht schließen, dass man unbesorgt viele ungesättigte Fettsäuren aufnehmen kann. Vielmehr komme es darauf an, wodurch man die gesättigten Fettsäuren in der Nahrung ersetzt, wenn man sie reduziere. „Wenn man stattdessen mehr ungesättigte Fettsäuren aufnimmt, sinkt das Herzinfarktrisiko durchaus.“

Dazu kommt, dass unterschiedliche Fette und Fettsäuren ganz unterschiedliche Wirkungen haben. Man müsse daher die einzelnen Fette genau betrachten, sagt Stefan Lorkowski: „Manche gesättigte Milchfettsäuren – zum Beispiel im Käse – werden mit einem geringeren Gesundheitsrisiko assiziiert, andere mit einem hohen – wie Palmitinsäure in Fleisch oder Wurst.“ Die Wirkung von einzelnen Nährstoffen unterscheide sich eben auch je nach Lebensmittel, in dem die Fettsäure stecke.

Was bedeutet das also konkret: Welche Nahrungsfette kann ich essen – und welche besser nicht?

„Es ist nicht die richtige Philosophie zu sagen: Esst jetzt einfach mehr Omega-3-Fettsäuren, weil die mehrfach ungesättigt sind“, sagt Lorkowski. Vielmehr gehe es darum, das Wurstbrot eben auch mal durch ein Käsebrot zu ersetzen – vielleicht mit etwas weniger Butter darauf. Denn Käse enthält – je nach Sorte – zwar wie Wurst gesättigte Fettsäuren, dafür aber auch Palmitinsäureaber auch hochwertiges Protein und Calcium – und weniger Palmitinsäure.

Grundsätzlich sei es in jedem Falle gut, gesättigte Fettsäuren aus tierischen Produkten oder Palm- und Kokosöl durch ungesättigte Fettsäuren zu ersetzen. Die sind vor allem in pflanzlichen Lebensmitteln wie Rapsöl, Leinöl, Olivenöl, Avocados oder in Nüssen. Leinöl enthält vor allem viele Omega-3-Fettsäuren. Rapsöl enthält dazu die mehrfach ungesättigten und besonders wichtigen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. „Man muss aber darauf achten, dass die im richtigen Verhältnis aufgenommen werden“, sagt Lorkowski. Omega-6-Fettsäuren, zum Beispiel im Sonnenblumenöl enthalten, nehme man in der Regel ausreichend auf. „IWir essen eher zu wenig Omega-3-Fettsäuren. Daher sollte man eher auch mal zu Leinöl greifen oder Kaltwasserfisch essen.“

Manchen Lebensmitteln wird nun beispielsweise Omega-3 zugesetzt, damit ein Produkt gesünder wird. Zum Beispiel das Brot beim Bäcker. Was ist davon zu halten?

Lorkowski und sein Team entwickeln zusammen mit Partnern von der Universität Leipzig selbst Lebensmittel, die mit Fischöl angereichert sind. Leberwurst zum Beispiel. „Es kann durchaus eine Variante sein, gesundheitsschädliche Fette zu ersetzen“, sagt Lorkowski. In einem Brot mit Omega-3-Zusatz könne letztlich einfach Rapsöl stecken. Schlecht sei das nicht. Immerhin seien über 40 Prozent der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf schlechte Ernährung zurückzuführen. Nur müsse man bei all den Heilsversprechen um die Ernährung auch vorsichtig sein, warnt Lorkowski. Dahinter würden oft kommerzielle Interessen stecken – und Menschen, die nach simplen Antworten suchen, weil sie nicht auf ihre Bratwurst verzichten wollen. Ohne wirklich etwas zu verändern oder wirklich auch mal auf etwas zu verzichten, gehe es aber eben nicht, sagt Lorkowski. „Man muss sich klarmachen, dass es kein Zaubermittel gibt.“