Ein Kollege des Benninger Erkrankten ist ebenfalls infiziert. An den Schulen stehen Klassenfahrten auf der Kippe und es werden Info-Tage abgesagt. Und auf der Hotline des Gesundheitsamtes prasseln Beschimpfungstiraden auf die Mitarbeiter ein.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Kreis Ludwigsburg - Die Verunsicherung darüber, wie man sich angesichts des sich ausbreitenden Coronavirus richtig verhalten soll, wächst. Am Montag gab das Sozialministerium bekannt, dass ein Kollege des erkrankten Mannes aus Benningen ebenfalls mit dem Coronavirus infiziert ist. Bei dem Benninger Patienten, der sich in häuslicher Isolation befindet, war die Ansteckung nur entdeckt worden, weil er kürzlich – negativ – auf Influenza getestet und die Probe nun ein weiteres Mal gezielt auf den Corona-Erreger hin untersucht worden war.

 

Jetzt abonnieren: Newsletter mit aktuellen Meldungen zum Coronavirus 

Der Kollege wohnt allerdings nicht Landkreis Ludwigsburg, sondern im Nachbarkreis Heilbronn, wo er wie der Benninger bei einem Automobilzulieferer arbeitet. Mehr Informationen gab es von der Pressestelle des Heilbronner Landratsamtes nicht. Der Grund: Das dortige Gesundheitsamt ist komplett überlastet, es sieht sich mit mittlerweile fünf Coronavirus-Fällen konfrontiert – darunter Mitarbeiter und ein Bewohner eines Altenheimes in Bad Rappenau, in dem alle Verbreitungswege des Erregers nachverfolgt werden müssen. Eine 20-köpfige Wohngruppe des Hauses stehe unter Quarantäne, sagt der Bad Rappenauer Oberbürgermeister Sebastian Frei. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Manfred Körner, der Pressesprecher des Kreises Heilbronn.

Klaus Warthon: „Ich habe von keiner blöden Reaktion gehört“

Der Kollege des Benninger Erkrankten war laut Information des Sozialministeriums seit 28. Februar in häuslicher Quarantäne, ist aber in ein Krankenhaus eingewiesen worden. Ohne etwas Konkretes zum Zustand des Mannes sagen zu können, erklärt Manfred Körner: „Wenn diese Maßnahme verhängt wurde, ist auch der Zustand des Patienten ernster.“

Dem Benninger selbst geht es den Umständen entsprechend gut, sagt Klaus Warthon, der Bürgermeisters der Gemeinde. Die Frau und die Tochter des Mannes seien negativ auf den Erreger getestet worden. Es hätten sich bereits Mitbürger gefunden, die der Familie, so lange sie unter Quarantäne stehe, mit Einkäufen unter die Arme greife. „Ich habe meine Augen und Ohren auch nicht überall, aber wie ich es mitbekomme, gehen die Benninger gut mit der Situation um“, berichtet der Bürgermeister. Es sei eine Vereinsparty im Bürgerhaus abgesagt worden, und die eine oder andere Stornierung in Gaststätten habe es auch gegeben, „aber ansonsten ist alles ruhig, ich habe von keiner blöden Reaktion gehört“, so Warthon.

Sonderweg für Marbacher Riesen-Schule

Derweil begann am Montag der Unterricht an den Schulen wieder – an fast allen Schulen im Landkreis Ludwigsburg nach Plan. Eine Ausnahme bildete das Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium, in dem nur die zehnte Klasse und die Kursstufen Unterricht hatten. Am Dienstag sollen die Klassenstufen fünf bis sieben dazukommen, erst am Mittwoch wieder regulär alle Schüler ans Gymnasium kommen. Bis dahin sollen alle rund mit 2500 Schüler eine spezielle Hygiene-Einweisung bekommen haben.

Lesen Sie hier: Wie gefährlich ist das Coronavirus wirklich?

Die Dimension der Schule sei auch der Grund für diesen Sonderweg, erklärt das Kultusministerium: „Die Herausforderungen bei dieser mit Abstand größten Schule Baden-Württembergs wurden als besonders groß eingeschätzt“, so die Pressesprecherin Christine Sattler. Diese auf das Friedrich-Schiller Gymnasium Marbach bezogene Entscheidung „hat dann die Schulleitung gemeinsam mit dem Bürgermeister der Stadt Marbach als Vertreter der zuständigen Polizeibehörde getroffen“, sagt Sattler. Die Vertreter des Ministeriums seien darüber informiert worden und hätten sie nachvollziehen können.

Wolfgang Medinger: „Man lässt die Schulen allein“

Bei anderen Schulleitern sorgte dieser Sonderweg am Montag für Unverständnis. Dass es Absprachen mit dem Ministerium gebe, „aber offenbar nur fürs Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach“, findet Wolfgang Medinger, Chef des Ludwigsburger Goethe-Gymnasiums, irritierend. An seiner Schule sei man gerade dabei, drei Skischullandheime in die Autonome Provinz Bozen und einen Austausch mit Turin im Piemont abzusagen, worüber es in der Elternschaft sehr konträre Ansichten gebe.

„In Italien hat die Regierung angeordnet, dass bis 15. März keine außerunterrichtlichen Veranstaltungen stattfinden dürfen, und wir in Baden-Württemberg haben keine klaren Vorgaben für die Reisen unserer Schulkinder dorthin“, ärgert sich Medinger. Das sei eine Zumutung. „Man lässt die Schulen mit diesen Entscheidungen und eventuellen Regressforderungen wegen der Stornierungen allein, und dies nicht zum ersten Mal. Das Sturmtief Sabine lässt grüßen.“ Am Tag des Sturmes hatte es das Kultusministerium in das Ermessen der Eltern gelegt, ob sie den Schulweg der Kinder für zu gefährlich hielten.

Tag der offenen Tür abgesagt

Eine für alle gültige Ansage zum Coronavirus hätte sich auch Mathias Hilbert, der geschäftsführende Schulleiter der Ludwigsburger Gymnasien, gewünscht. Auch seine Schule – das Otto-Hahn-Gymnasium – wollte kommendes Wochenende die sechsten Klassen ins Winterschullandheim in Südtirol schicken. „Also nicht ins Risikogebiet“, sagt Schulleiter Mathias Hilbert. „Ihre Kinder“, hat er den Eltern in einem Brief geschrieben, „sind dort mindestens genauso sicher oder unsicher wie hier in Ludwigsburg.“ Auch in diesem Fall müssen die Entscheidungen nun via Elternmehrheit fallen.

Die Kornwestheimer Theodor-Heuss-Realschule hat ihren für Freitag geplanten Tag der offenen Tür abgesagt: Eine Massenansammlung von Menschen auf beengtem Raum sei derzeit nicht verantwortbar, sagt Rektor Boris Rupnow. Jetzt soll es angemeldete Führungen für kleine Interessiertengruppen geben – allerdings ohne Vorführungen und Vorzeige-Unterricht.

Beschimpfungen und Anfeindungen

Von solchen Entwicklungen abgesehen begann der erste Unterrichtstag weitgehend normal. „Es gibt nur ganz vereinzelte Fälle, in denen ein Schüler oder ein Lehrer zuhause geblieben ist, weil er in einem Risikogebiet im Urlaub war“, sagt Anita Kermisch, die stellvertretende Leiterin des Schulamtes Ludwigsburg. Die Schulen hielten sich an die Empfehlungen und Hygiene-Vorgaben, die das Kultusministerium und das Robert-Koch-Institut herausgegeben hätten. Wer nicht in einem Risikogebiet in Ferien war und keinen Kontakt zu einem Erkrankten hatte, brauche keine speziellen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, heißt es dort. Doch wer weiß schon, ob er mit einem Infizierten Kontakt hatte? „Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis die Schulen und Kitas betroffen sind“, befürchtet Mathias Hilbert vom Otto-Hahn-Gymnasium.

Lesen Sie hier: Wann man zuhause bleiben sollte

Dass so viele Menschen im Dunkeln tappen, ist auch Nährboden für irrationale Reaktionen. „Bei aller Sorge: Was sich unsere Mitarbeiter an der Hotline alles anhören müssen, spottet jeder Beschreibung“, berichtet der Gesundheitsdezernent für den Kreis Ludwigsburg Thomas Schönauer. „Von der Frage, ob man noch mit seinem Hund Gassi gehen kann, bis hin zu Anfeindungen, rassistischen Beschimpfungen und Verschwörungstheorien.“ Mit manchem auf Krawall gebürsteten Bürger müsse man Tacheles reden, „damit wir uns wieder unseren Hauptaufgaben widmen können“, sagt Schönauer.

Matthias Knecht ruft zur Besonnenheit auf

Wer befürchtet, selbst Symptome des Coronavirus zu haben, sollte zunächst den Hausarzt kontaktieren. Doch auch diese sind teils schon am Rande ihrer Kapazitäten. Was die Zuständigkeiten angeht, arbeiteten laut Carola Maitra, der Vorsitzenden der Kreisärzteschaft, derzeit die Kliniken, die Ärzte und das Gesundheitsamt „mit Hochdruck daran, eine tragfähige Lösung zu finden, die Ärzten und Patienten gleichermaßen gerecht wird“.

Der Ludwigsburger Oberbürgermeister Matthias Knecht sagt zur aktuellen Entwicklung: „Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst. Das Maß unseres Handelns ist die Besonnenheit, ohne die Gefahrenlage zu unterschätzen.“ Die Stadtverwaltung hat an allen Kitas und Schulen Info-Plakate aufgestellt und informiert auf ihrer Homepage. Auch manche Unternehmen lassen Vorsicht walten: Die Kreissparkasse Ludwigsburg etwa hat, so Pressesprecher Martin Lober, Mitarbeiter, die in Risikogebieten Urlaub gemacht haben, gebeten, zu Wochenbeginn erst einmal zuhause zu bleiben.