In der Schule findet Kolonialgeschichte kaum statt. Das soll sich nach dem Willen der meisten Landtagsfraktionen ändern.

Stuttgart - „Was haben Sie in der Schule über die Kolonialzeit gehört?“, fragt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) in der Debatte des Landtags zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. „Nichts“, raunt eine 20-Jährige auf der Zuschauertribüne spontan, und sie dürfte nicht alleine sein.

 

Das könnte sich in Zukunft ändern. Baden-Württemberg hat mit der Rückgabe von Bibel und Peitsche des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi nach Namibia ein erstes Zeichen gesetzt. Die Frage der Restitution ist für Bauer im Grundsatz beantwortet: „Wo wir Klarheit haben und es moralisch für gerechtfertigt halten, da geben wir zurück“, sagte sie im Landtag. Die Rückgabe der Objekte wertet sie als „Beitrag zur Verständigung und vor allem als Basis für weitere Zusammenarbeit“. Sie sieht sich durch ein Eckpunktepapier bestätigt, das die Kulturminister der Länder zwei Wochen nach der Rückgabe der Objekte aus Baden-Württemberg vorgelegt haben.

Historische Verantwortung, Kolonialgeschichte aufzuarbeiten

Bauers Ansatz teilen Grüne, CDU und SPD im Landtag. „Die deutsche Kolonialgeschichte ist eine Lücke in unserem Gedächtnis“, hält die Ministerin fest. Auch die CDU-Abgeordnete Nicole Razavi ist der Meinung, „es ist Teil unserer historischen Verantwortung, Kolonialgeschichte aufzuarbeiten und Unrecht sichtbar zu machen“. Am besten sei es, die Herkunft und die Geschichte der Objekte aus der Kolonialzeit gemeinsam zu erforschen. „Das führt im besten Fall zu einer neuen Qualität der Beziehungen“, sagte Razavi. Ansätze dazu gibt es in den Projekten der Namibia-Initiative des Landes. Beteiligt sind Hochschulen und Kultureinrichtungen von der Akademie Schloss Solitude bis zum Literaturarchiv Marbach. Das Landesarchiv will das Nationalarchiv Namibia beim Ausbau der technischen Infrastruktur und der dauerhaften Sicherung der Quellen beraten und bietet ein Trainingsprogramm an.

Das Linden-Museum, das nach Einschätzung von Theresia Bauer „bundesweit Standards setzt“ in der Provenienzforschung und mit seiner neuen Afrikaausstellung, will gemeinsam mit namibischen Wissenschaftlern seine mehr als 2200 Objekte aus der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia, erschließen. Das Nationalmuseum von Namibia übernimmt die erste Sondierung, dann werden jeweils zwei Vertreter der Stämme Nama und Herero eingeladen, um an den Sammlungen zu arbeiten. Viele der Objekte können die Forscher derzeit kaum identifizieren. In einer zweiten Phase folgen die Studenten. Jeweils zehn Studenten der Universität von Namibia und der Uni Tübingen sollen sich in Workshops in Stuttgart und in Windhuk mit den historischen Sammlungen befassen und neue Wege der Präsentation erarbeiten. Im Jahr 2023 wäre eine gemeinsame Ausstellung denkbar, heißt es in der Projektbeschreibung.

Das Wissen über die Kolonialgeschichte stärken

Der SPD-Abgeordneten Gabi Rolland ist es wichtig, „das Wissen über die Kolonialgeschichte zu stärken“. Sie setzt große Hoffnungen in den Austausch von angehenden Lehrkräften zwischen Namibia und Baden-Württemberg. Dabei plant die Pädagogische Hochschule Freiburg ab Januar 2020 ein Austauschprogramm für Lehramtsstudenten. Ein Baustein des Projekts ist die gemeinsame Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zur deutsch-namibischen Geschichte. Susanne Kuss von der PH Freiburg hofft jedoch, dass daraus eine bilaterale Schulbuchkommission erwächst. Für die Namibia-Initiative stellt das Land in einem ersten Schritt 1,25 Millionen Euro zur Verfügung. Laut Bauer denkt Baden-Württemberg aber über eine Afrikastrategie nach.

Juristische Bedenken hat nach wie vor die FDP. Ihr Sprecher Nico Weinmann sieht Probleme, die legitimen Empfänger festzustellen, und befürchtet, die Unsicherheit könnte Streitigkeiten in den Herkunftsländern hervorrufen. Die AfD sieht in der Restitution vor allem eine „Inszenierung“ der Grünen, die sich so „ein moralisches Image“ verschaffen wollten. Für Aufruhr im Landtag sorgte der fraktionslose Abgeordnete Wolfgang Gedeon, der von der zivilisatorischen* Überlegenheit der Europäer sprach und eine eigene Sicht auf den Kolonialismus verbreitete. Die anderen Fraktionen nannten die Äußerungen rassistisch.

*Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version dieses Artikels fehlte vor dem Wort Überlegenheit der Zusatz „zivilisatorischen“.