An der Klagemauer in Jerusalem beten Männer und Frauen getrennt, so wollen es die Orthodoxen. Die „Women of the Wall“ lassen sich das nicht gefallen, wie die StZ-Autorin Inge Günther beobachtet hat.

Jerusalem - Kaum zeigt sich die Sonne am Horizont, brummt die Stadt. Unglaublich, wer alles um halb sieben in der Früh die Jerusalemer Straßen verstopft. Quer durch den Verkehrsstau bahnen sich schläfengelockte Juden einen Weg Richtung Altstadt – und ich hinterher. Ein ungewohntes Gefühl, das gleiche Ziel zu haben: die Klagemauer – das höchste jüdische Heiligtum, hebräisch Ha-Kotel. Zumindest auf dem Platz davor herrscht zu dieser Morgenstunde noch kein Hochbetrieb, sondern meditative Stimmung – wenngleich keine völlig ungestörte. Es ist Rosh Hodesh, der Monatsbeginn nach jüdischem Kalender, an dem die Organisation „Women of the Wall“ sich seit zwölf Jahren das Recht nimmt, einen Gottesdienst von Frauen für Frauen abzuhalten. Orthodoxe Rabbiner mögen das nicht. Nach ihrer Auffassung dürfen so etwas nur Männer.

 

Diese jüdischen Feministinnen mit bestickten Käppis auf dem Kopf singen auch noch. Dazu tragen sie Gebetsschals mit den Schaufäden an vier Enden, was die Religionswächter ebenso für Männersache halten. Nicht nur die. Strenggläubige Frauen werfen missbilligende Blicke rüber. Anders als ihre aufmüpfigen Schwestern scheint es sie nicht zu stören, dass sich das Weibervolk mit einem kleinen Stück abgeteilter Klagemauer zu begnügen hat. In die Steinritzen dürfen sie ihre persönlichen Bitten an Gott stecken, mehr nicht. So sieht es der vom Rabbinat abgesegnete Status quo vor. Und der ist Jerusalem nahezu heilig.

Zwei Polizisten tuscheln aufgeregt in ihre Handys. „Kann sein, dass wir hier gleich eine Festnahme erleben“, flüstert mir die Sprecherin der „Frauen von der Mauer“ ins Ohr. Ihr kann das recht sein. Die öffentliche Aufregung wie etwa 2009, als eine von ihnen in Polizeiarrest kam, weil sie eine Torarolle geöffnet hatte – nach orthodoxer Sitte ein männliches Vorrecht –, hat ihnen immer neuen Zulauf beschert.

Doch das Protestritual ist eingespielt. Flankiert von bewaffneten Wachleuten pilgert der Trupp fröhlich-frommer Emanzen zum Archäologischen Garten, wo sich eine Art Fortsatz zur Kotel befindet. Dort können die nicht-orthodoxen Strömungen im Judentum sich spirituell ausleben – Rabbinerinnen inklusive. Zwischen uralten Felsen wickelt Bonna Devora Haberman die Tefillin, die Gebetsriemen mit den Kästchen, die Tora-Verse enthalten, um Arm und Kopf. Nirgendwo in der Halacha, dem jüdischen Religionskodex, sagt sie, stehe geschrieben, dass das Frauen verboten ist.

Selbst ist die Frau. Das finden auch einige Männer, die die „Women of the Wall“ unterstützen. Zum Beispiel Jacob Siegel, weil er für „konsequente Gleichberechtigung“ ist. Am Ende bekommt er ein Stück vom mitgebrachten Kuchen. Eigentlich hat der Tag doch ganz entspannt begonnen.