Kinder sind brutal ehrlich. Und brutal indiskret. Vor allem mit Notlügen muss man in ihrer Gegenwart verdammt vorsichtig sein. Das lernte unsere Autorin auf die harte Art.

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Als meine Töchter noch im Kindergarten waren, machte eine der beiden mir beim abendlichen Zähneputzen ein fragwürdiges Kompliment: „Mama, du hast so schöne goldene Zähne!“ Es war der Moment, in dem ich beschloss, mir schleunigst eine Bleaching-Zahncreme zuzulegen. Kinder sind brutal ehrlich. Und manchmal brutal indiskret.

 

Vor allem als sie noch jünger waren, entpuppten sich meine Zwillinge als ein unberechenbares Überraschungspaket der sozialen Interaktion. Besonders in Hörweite der Kinder vorgebrachte Notlügen waren ein Drahtseilakt, der spektakulär schief gehen konnte. Mit einem gezielt platzierten „Hä? Wir hatten doch gar kein Magen-Darm!“ brachten die Beiden mein Ausreden-Kartenhaus krachend zum Einstürzen.

Mit zunehmendem Alter sind diese töchterlichen Bömbchen zum Glück seltener geworden. Doch wenn sie fallen, sind sie weiterhin hochnotpeinlich. Kürzlich auf dem Wochenmarkt. Uns läuft jemand peripher Bekanntes über den Weg, dessen Namen mir leider spontan nicht in den Sinn kommt. Wir halten an für einen Schwätz, ich umschiffe meinen Ausfall gekonnt. Alles läuft gut – bis zum Auftritt des Kindes: „Wer is’n das?“ Während mir mein Kind im Zehn-Sekunden-Takt nicht besonders leise zuwispert „Wer is’n das?“, „Wer iiiiiis’n dahahas?“, krame ich in meinen Hirnwindungen verzweifelt nach dem Namen meines Gegenübers, der mir aber partout nicht einfallen will. Per Telepathie versuche ich meinem Kind zu vermitteln, dass ich ihm antworten werde, sobald sich unser Gegenüber außer Hörweite befindet. Das Kind ist aber leider in Telepathie völlig unbegabt.

Möglicherweise liegt es am Karma. Ich war ein äußerst indiskretes Kind. Wirklich – meinen Eltern blieb dahingehend nichts erspart. Im Kindergarten plauderte ich aus, dass sich meine Mutter ein „schwarzes Nachthemd“ zugelegt habe, als sie es wagte, sich ein Nachtgewand zu kaufen, das nicht aus bis zum Knöchel reichender, züchtig weißer Baumwolle bestand. Als völlig unbedarfte Fünfjährige tratschte ich sensationslüstern weiter, für welchen Jungen aus ihrer Klasse meine neun Jahre ältere Teenager-Schwester schwärmte.

Meine persönlichen Belange nahm ich ebenfalls äußerst wichtig. Als ich einmal mein geliebtes abgeschabtes Schnuffeltuch verlor, erzählte ich das von meinem Kindersitz im Einkaufswagen aus jedem, der mir im örtlichen Edeka-Markt über den Weg lief: „Weißt du“, raunte ich der Dame in der Gemüseabteilung, die gerade damit beschäftigt war, ihre Bananen abzuwiegen, aus dem Nichts in alarmistischem Ton zu, „ich habe meinen Gogo verloren!“ An meiner Mutter war es schließlich, die darauf unvermeidlich folgende Verwirrung aufzuklären.

Karma ist halt ein Bumerang und alles holt einen spätestens dann ein, wenn man selbst Mutter oder Vater ist. Und das ist doch irgendwie auch eine Genugtuung, oder?

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Theresa Schäfer (41) ist Mutter von Zwillingen - und Onlineredakteurin im Nebenberuf. Der geballten Power und argumentativen Logik von zwei Zehnjährigen steht sie oft staunend und manchmal völlig geplättet gegenüber.