Kinder besitzen die nötige Expertise in vielen Lebensbereichen. Und endlich erfahren wir, weshalb Schlaf ein überbewertetes Konzept und auch ein bisschen großer Quatsch ist.

Ein Bekannter von mir, im besten Alter, sagt seit Jahren, er halte das Konzept des Schlafens für wahnsinnig nervig, empfinde es gar als störend. Er schlafe nicht gerne, weil das schließlich Zeit sei, die vom Leben abginge. Also, auch vom Leben aber eben besonders vom aktiven Leben – Dinge tun, Zeug machen, etwas Neues kennenlernen, Spaß an irgendwas haben, Quatsch anzetteln oder sich in epischer Breite über irgendetwas zu freuen. Er schläft nur, weil er muss und aus reiner Bockigkeit immer ein bisschen widerwillig.

 

Richtig verstanden habe ich das erst, seit bei uns ein Kind wohnt. Ob beim Mittagschlaf oder abends dann, wenn man richtig ins Bett geht: Der Vierjährige protestiert vehement gegen diese elterlich verordneten Eckpfeiler des Tages. Und er macht das nicht im Trotz, sondern in einer herzzerfetzenden Dramatik. „Warum?“, fragt er. „Damit du morgen fit bist und Kraft hast!“, antworte ich. „Aber ich bin JETZT wach! Schlafen ist langweilig!“. Gegen solche Argumente komme ich kaum an – zumindest nicht, ohne dabei wie ein ekelhaft besserwisserischer Erwachsener zu klingen. Niemand mag besserwisserische Erwachsene. Nicht mal Erwachsene. Doch wenn ich mir das Zeitmanagement von Kindern anschaue: diese Hooligans holen tatsächlich alles aus der Uhr raus.

17 aufreibende Minuten

Neulich haben wir mit Wasserfarben gemalt, mit Buntstiften auch, einen Palast aus Holzklötzen gebaut, Ritter gespielt, mit 300 aufeinandergetürmten Spielzeugautos den Stuttgarter Feierabendverkehr simuliert, einen Rettungseinsatz mit zwei Dinosauriern aus Lego geflogen, getanzt, gesungen, uns in mehreren Fantasiesprachen unterhalten und zwei Bands gegründet – eine sogar mit Tina Turner. Mehr war leider nicht drin, doch es waren die mit Abstand aufreibendsten 17 Minuten meines Lebens.

„Gute Nacht!“, sagt die Hündin

Als ich uns zur Stärkung ein paar Snacks aus der Küche hole und rund zwei Minuten später wieder das Wohnzimmer betreteten möchte, kommt mir schon im Flur die Hündin entgegen, sie rollt mit den Augen. „Ich leg mich ab, gute Nacht“, sagt sie. Ich: „Ins Schlafzimmer?!“. Sie: „Mir egal, Hauptsache ich habe meine Ruhe! Tschüssikowski.“

Weg war sie und im Wohnzimmer war eh kein Platz mehr. Das Kind hat während meiner Abwesenheit sogar die letzten Reste an Spielzeug im Raum gestapelt. Bereit für mehr Action, als ob morgen kein Tag mehr käme. Ich: „Komm jetzt, Zähneputzen und dann echt ab ins Bett“. Er: „Okeeee“.

Er darf natürlich nie erfahren, warum ich mich freue, wenn er endlich schläft. Dann nämlich kann ich mich endlich den Dingen zuwenden, die Erwachsene eben so tun: In Ruhe mit Lego, Duplo, Autos, Drachen, Dinos, Magneten, Bauklötzen spielen – ohne von ihm gemaßregelt zu werden, weil ich wieder irgendwas falsch mache. Das ziehe ich bis ins Morgengrauen durch. Ehrensache.

Denn auch das ist ein Teil der Wahrheit: In ihren Spaß lassen sich Kinder nur ungern reinfunken. Kürzlich habe ich ein Käsebrot „falsch“ zusammengeklappt – also, quer, nicht längs. Er forderte daraufhin die Mutter zur baldigen Scheidung von mir auf. Ich: „Samma!“, er: „War nur Spaß!“. Ja, der Junge holt aus allem den größten Spaß heraus. Oder wie er sagt: „Ich habe Lebensfieber“.

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Michael Setzer ist seit vier Jahren Vater. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.