Was kommt, wenn Corona geht? In unserer Kolumne „Familiensache“ macht sich Martin Gerstner nach einem virtuellen Elternabend Gedanken darüber, wie die Welt nach Corona für seine Kinder aussehen wird.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Vergangene Woche hatte ich meinen ersten virtuellen Elternabend: müde Gesichter vor eher nüchterner Arbeitszimmer- oder Bastelkellerkulisse. Mein Gesicht war auch müde, angereichert mit einigen Zutaten von Unruhe, Beklemmung und leichter Panik. Das liegt daran, dass ich als Journalist ständig mit den neuesten Drehungen und Wendungen der Coronakrise befasst bin. Und weil ich davon nicht genug bekommen kann, schaue ich abends die TV-Nachrichten und verfolge via Twitter den Streit um die Exegese des neuesten Virologen-Evangeliums.

 

Völlig überraschend erfahre ich keine guten Nachrichten: „Kinder in der Corona-Krise: Experten warnen vor Folgen“, heißt es da. Oder: „Was Kinder in der Corona-Krise erleben, prägt sie sehr“. Muss man drauf kommen. Und weiter: „Entwicklung der Kinder beunruhigt die Deutschen zutiefst.“ Mich auch. „Krisenmanager der Zukunft? Kinder sind Verlierer der Corona-Krise.“ Oh Gott, reicht das jetzt? Nein? Dann könnte ich noch einen Psychologen nachreichen, der gastro-enterologisch diagnostiziert: „Viele Kinder leiden unter der coronabedingten Isolation. Sie werden aggressiv, ziehen sich zurück oder reagieren mit Kopf- oder Bauchschmerzen.“

Die Krise schreibt keine Heldengeschichten aus dem Homeoffice mehr

Ich ziehe mich mittlerweile auch zurück und pflege meine Bauschmerzen. Wobei das mit dem Zurückziehen so eine Sache ist. Ich könnte mich noch einige Stunden in der Garage einschließen. Da gibt es immer etwas zu tun. Den Keller habe ich ja schon aufgeräumt. Insgesamt stelle ich fest, dass die helle Aufregung der ersten Coronawochen einer abgeschlafften Routine weicht. Die Krise schreibt keine Heldengeschichten aus dem Homeoffice mehr. Es läuft alles. Irgendwie.

Interessant sind aber die Weltuntergangsszenarien, die einige Leitmedien bereits an die Wand werfen. Jugendliche, die jetzt vor dem Schulabschluss stehen, seien plötzlich nicht mehr gefragt. Der unbeschwerte Ein-Jahres-Trip nach dem Abi sei aus Gesundheitsgründen nicht mehr möglich. Lehrstellen würden gestrichen, Studienplätze auch. Und wer sich bewirbt, müsse wider Erwarten mit einem harten Auswahlverfahren rechnen.

Die anstehenden Verteilungskämpfe werden keine Kaffeefahrt

Komisch, aber ich erinnere mich, dass noch vor wenigen Monaten alle davon sprachen, die jungen Menschen könnten sich jeden Job raussuchen, im Vorstellungsgespräch Teilzeit, Work-Life-Balance und den bezahlten Surfurlaub herausverhandeln oder einfach mal ein paar Jahren ohne Zukunftsangst gar nichts tun. Hat Corona das alles auf den Kopf gestellt? Vermutlich ist das eine so falsch wie es das andere war.

Wir alle wissen nicht, wie die Welt nach Corona aussehen wird. Sie wird aber auch in den wohlhabenden Gesellschaften vieles verändern. Wird sie der Jugend ihre Leichtigkeit nehmen? Und gleichzeitig auch ihrem Elan, Dinge zu verändern? Ich wage keine Prognose. Aber die anstehenden Verteilungskämpfe werden keine Kaffeefahrt. Aus ihnen kann eine neue Härte erwachsen, eine Infragestellung des Vertrauten und ein Kampf um die verbleibenden Ressourcen. Ob die so idealistisch auftretende Fridays-Jugend unter diesem Druck irgendwann doch zynisch oder darwinistisch wird? Wenn ich in einem Jahr vielleicht wieder in einem analogen Elternabend sitze, wissen wir mehr.

Martin Gerstner begleitet die Schulkarrieren seiner beiden Kinder mit Interesse und Ehrfurcht. Er weiß jetzt einiges über die Erdrotation. Ansonsten ist der StZ-Redakteur seinen Kindern oft peinlich und erfüllt damit die vorgesehene Rolle als Vater. Den Kampf gegen die Jogginghose seines Sohns hat er übrigens verloren.