Wir sollten uns wehren, wenn die Türkei unsere Freiheit nutzt um die Abschaffung der Demokratie zu propagieren, findet die StZ-Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Samstagabend im Taxi. „Siehste“, sagt der Fahrer, „Unser Chef ist nicht so ein Weichei, er macht uns stark.“ Auf die Frage, warum er nicht in Ankara lebe, wenn er Erdogan so toll finde, sieht mich der Taxifahrer verständnislos an und sagt: „Weil ich hier zuhause bin.“

 

Gerade war der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim damit fertig geworden, in einem Meer nationalistischer Besoffenheit einzutauchen – was sein gutes Recht ist. Jeder kann sich schließlich treffen, wozu er möchte, auch mit 9000 anderen Leuten und etwa genau so vielen türkischen Flaggen zusammen, wir haben Versammlungsfreiheit in unserem Land – unter anderem. Deshalb ist der Herr Yildirim ja gekommen. Weil er es kann.

Der Ein-Mann-Staat soll her

Weil er hier um die Stimmen von 1,5 Millionen Auslandstürken wirbt. In der Türkei, wo man die Demokratie mit Füßen tritt, soll jetzt das Gesetz so geändert werden, dass die Tritte in Ordnung gehen. Ein Ein-Mann-Staat soll die Demokratie ablösen. Zu einem anderen Zweck wurde noch nie ein parlamentarisches System abgeschafft. „Wollt ihr eine mächtige Türkei?“, rief Yildirim. Demnächst will auch Präsident Recep Tayyip Erdogan hier dafür werben.

Weil er es kann. Zu den Freiheiten, die unsere Demokratie gewährt, gehört es auch, zu kritisieren – zu schreiben, was die Mächtigen nicht lesen wollen. Trotzdem sperrte Yildirim am Samstag einfach einen Journalisten von seiner Veranstaltung aus. In der Türkei sperrt man lieber direkt ein: Seit einer Woche sitzt der Kollege und „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel in Polizeihaft. Er schrieb über Erdogans Schwiegersohn, der Energieminister ist, jetzt wird ihm offenbar Terror vorgeworfen. Mehr als 100 politisch missliebige Journalisten sind inhaftiert, Yücel ist der erste Deutsche unter ihnen.

Manchmal ist Kritik auch eine Pflicht

Dieses Knäuel an Unerträglichkeiten wird nicht dadurch entwirrt, dass man auf ein Kernproblem der Demokratie verweist: natürlich muss sie auch die Freiheiten derer verteidigen, welche ihre Feinde sind. Aber das gilt nicht schrankenlos. Gerade dröhnt die offizielle Zurückhaltung recht laut vor dem Hintergrund des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. Diplomatie mag zwar die einzig effektive Möglichkeit sein, derzeit die Situation Yücels zu verbessern; immerhin erschließt sich nur mit diesem Gedanken der Satz der Kanzlerin, in dem sie Vertrauen in ein faires Verfahren äußert – in ein Land voller Unrecht.

Aber Kritik ist nicht nur eine demokratische Errungenschaft, sie kann auch zur Pflicht werden und vor Diplomatie gehen. Wenn ein Regierungschef hier politisch Stimmung macht, in dessen Land Menschen mundtot gemacht und ihre Rechte mit Füßen getreten werden, dann hat die Bundesregierung nicht endlos Grund, sich auf Gebote der Zurückhaltung zu berufen. Zumal dieser Staat sogar im Verdacht steht, auf deutschem Gebiet Kritiker auszuspähen, sodass der Generalbundesanwalt gegen Ditib-Imame ermittelt. Eine Möglichkeit wäre, Deutsch-Türken direkt anzusprechen und jene Initiativen zu unterstützen, die die Wähler über das anstehende Referendum informieren. Eine andere wäre tatsächlich, sich gegen die Veranstaltungen Yildirims und Erdogans zu wenden. Zwar wird argumentiert, diese nicht verbieten zu können. Andererseits hat es noch keiner versucht. Wer weiß, ob die Türkei es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen würde. Man könnte sie an ihre diplomatischen Verpflichtungen erinnern.