Mit dem Beginn der Adventszeit kann man sich auch schon Gedanken über das Schenken und Beschenktwerden machen. Wer seine Kinder liebt, freut sich über alles, was unterm Christbaum liegt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Wie misst man wahre Elternliebe? Wie erkennt man, dass die Liebe zum eigenen Spross wirklich bedingungslos ist und unverletzbar? Nun, es gibt einen Maßstab, und an dieser Stelle müssen wir die einschlägigen Erziehungsratgeber gehörig tadeln. Die faseln immer nur von stabiler Bindung, Vertrauen oder Stärke durch Zuwendung, vergessen aber, worauf es wirklich ankommt.

 

Bald ist wieder Weihnachten, und da können Sie, liebe Leserin und lieber Leser, die Probe aufs Exempel machen. Denn beim Christfest wird das Band, das Väter und Mütter mit ihrem Nachwuchs auf immer und ewig verbindet, einer harten Belastungsprobe ausgesetzt. Wer Sohn und Tochter mit allen Schwächen und Fehlern akzeptiert, bekommt beim Anblick dessen, was diese mal wieder unter den Baum gelegt haben, keinen Schreikrampf.

Glückseliges Lächeln

Nein, wenn schon während des Auspackens innerlich das Grauen keimt, dann bleiben gute Väter und Mütter stark. Dann setzen sie ein glückseliges Lächeln auf und rufen verzückt: „Oh, das ist aber schön! Das hast du wirklich toll gemacht!“ Oder: „Hey, cool, wo hast du das denn gefunden? Da freue ich mich aber sehr!“

Was haben wir selbst unsere Eltern gequält: mit plumpen Salzteig-Omas, unbeholfen angepinselt, eine Ausgeburt der Kitschigkeit – sie hängen immer noch bei Muttern an der Küchenwand. Mit unförmigen hässlichen Tonvasen, mit missratenen selbst gehäkelten Topflappen, mit unbrauchbaren Küchenutensilien, mit geschmacklosen Modeschmuck-Ketten für die Mama und billigem Rasierwasser für den Papa – was anderes war mit dem Taschengeld nicht zu stemmen.

Ästhetische Katastrophen

Die Empfänger haben gute Miene zum bösem Spiel gemacht, waren tapfer und haben sich gehütet, auch nur eines der Geschenke heimlich zu entsorgen, und genauso halten wir es heute auch, und das nicht nur, weil wir unser geringes Zeichen- und Basteltalent weitervererbt haben. Wahre Elternliebe sieht großzügig über Geschmacksentgleisungen, ästhetische Katastrophen und die Nutzlosigkeit von Dingen hinweg; und Notlügen zur Erhaltung der ungestörten Eltern-Kind-Bindung sind nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.

Auch in unserem Haushalt zieren rätselhafte Tonfiguren die Bücherregale, stehen unansehnliche Kerzenständer auf dem Tisch, hängen nicht wirklich gelungene Basteleien am Tannenbaum. Wir sind gespannt, was uns der Sohn dieses Mal beschert. Zumal das kindliche Schenken in diesem Jahr eine neue Dimension erreicht: Haben bisher Erzieherinnen in Kindergarten und Grundschullehrerinnen mit Bastelideen die Richtung vorgegeben, ist der frischgebackene Gymnasiast jetzt auf sich selbst gestellt. „Ich weiß überhaupt nicht, was ich euch zu Weihnachten schenken soll“, jammerte er neulich.

Das tollste Geschenk

Soll er sich mal den Kopf zerbrechen, das mussten wir auch. Was wirklich zählt und wir ihn hoffentlich täglich spüren lassen, ist doch eins: dass der Schenkende selbst das größte, tollste, schönste Geschenk ist, eines, das von nichts und niemandem übertroffen werden kann, eines, an dem wir uns erfreuen Tag für Tag – nicht nur an Weihnachten.