Auch wenn man keine Kinder hat, ist man zur mütterlichen Gefühlen durchaus fähig. Vor allem bei großen Anlässen. Eine Konfirmation zum Beispiel macht die beste Freundin der Konfirmandinnen-Mutter ziemlich sentimental.

Stuttgart - Wenn die beste Freundin Mutter wird, und man selber keine Kinder hat, kann das heikel werden. Sehr hässliche Gefühle, die man eigentlich nicht haben möchte, recken ihre hässlichen Häupter: Neid, Eifersucht, Furcht, Verlustangst und so weiter. Sie hatte es mir am Telefon gesagt und dabei ein hörbar schlechtes Gewissen. „Du, ich muss dir was gestehen: ich bin schwanger.“ Aber das werde unser Verhältnis doch nicht trüben, fügte sie hoffnungsvoll hinzu. Oder würde es das? Ich freute mich aufrichtig über ihre Freude und überhaupt, sagte ich, wenn was Neues wächst, ist das doch immer eine feine Sache. Das mache doch nichts, dass sie bald etwas habe und mache, was ich nicht habe und mache. Da waren wir zwei uns einig wie eh und je. Ich briet ihr Hühnchen und backte ihr Erdbeertörtchen, denn sie musste ja jetzt für zwei essen.

 

Als mir die junge Mutter in der Klinik ihr Neugeborenes präsentierte, horchte ich in mich hinein und spürte – wider Erwarten – keine Eifersucht. Sie drückte mir diesen winzigen Menschen in die Armbeuge und sagte, dass alles gut werde. So ist es dann auch gekommen, und das Neugeborene wird in diesem Mai konfirmiert. Ich bin nicht seine Patentante, aber ich werde weinen, wenn das Mädchen in der Kirche seinen Spruch sagt, und werde schon vor dem ersten Sekt sentimental werden. „Du wirst dich nicht erinnern“, sage ich zu ihr, „aber ich denke noch so oft an unseren ersten Urlaub zu dritt. Ich habe dich acht Tage lang auf meinem Rücken getragen. Gott, warst du schwer.“

Lesungen aus dem Wanderführer

In diesen acht Tagen wurde die Grundlage für eine wunderbare Dreiecksbeziehung gelegt. Eine Küstenwanderung in Cornwall – in Regen und Wind bergauf, bergab – immer mit der Kleinen auf meinem Buckel. Ich hatte hinterher wochenlang ausgesprochen muskulöse Oberschenkel. Für eine wundersame Woche war ich selber zur Mama geworden. Meine Freundin zeigt mir, wie man ein Fläschchen mixt und ein Baby wickelt. Nachts war ich es dann, die aufstand und im dunklen Bed-&-Breakfast-Zimmer nach dem Rechten sah.

Innerhalb von 24 Stunden entwickelte ich sogar jenes spezifische, feine Gehör und schreckte schon beim leisesten Quäken „meines“ Nachwuchses auf. Meine Freundin schlief den Schlaf der Gerechten. Während ich schon am Morgen die frühkindliche Entwicklung des Kindes mit Lesungen aus dem Wanderführer förderte, beobachtete sie uns wohlwollend mit einer Tasse Tee vom Bett aus. Ich lernte, dass Fläschchen auf Englisch „formula“ und Windel „diaper“ heißt. Hielt im Bus oder im Café jemand mich für Mummy, versäumte ich es, den Irrenden auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Aus Rücksichtnahme natürlich: Die Deutschen stehen in Großbritannien sowieso unter dem Generalverdacht, immer alles besser zu wissen. Es waren schöne Tage, denen viele folgten.

Wenn ich ihr diese ollen Geschichten wieder einmal erzähle, wird die Konfirmandin mit den Augen rollen, aber nur verstohlen, denn sie ist ja so gut geraten. Kein Wunder, bei den Müttern!