Eben noch war er das krabbelnde Krippen-Kind, nun kommt der Sohn unserer Kolumnistin schon in die Schule. Am schwersten fällt der Abschied vom Kindergarten allerdings seiner Mutter.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Da rast die Zeit mit Kindern eh schon dahin, und dann drückt Corona auch noch die Vorspultaste. Mir kommt es so vor, als hätten wir einen großen Hopser über die Monate März bis Juli gemacht – oder vielleicht haben wir sie im Autopilot-Überlebensmodus zwischen Homeoffice und Homebetreuung einfach nicht mitbekommen. Jedenfalls war es gefühlt eben noch Vorfrühling und nun kocht der Stuttgarter Kessel schon im Zenit des Sommers. Oder, um es in Elternsprache zu sagen: Kürzlich meinte die Erzieherin, dass wir doch mal die Wintersachen in den Wechselklamotten gegen kurze Hosen und T-Shirts austauschen sollten.

 

Nun ist man es mit Kindern gewohnt, dass die Zeit immer schneller vergeht. Während der Nachwuchs größer, schöner, schlauer wird, guckt man aus Selbstschutz nur noch selten in den Spiegel. Und falls doch, fragt man sich, wer die Frau mit dem faltigen Hals denn bitte ist. Und während die Energien von Sohn (6) und Tochter (3) unerschöpflich sind, fühlt man sich mindestens reif für die Mütterkur – oder auch gleich fürs Altenteil. Und hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass die so genannte Stilldemenz bei mir direkt in die Altersvergesslichkeit überging!?

Corona hat dem Sohn die letzten Kita-Monate geklaut

Den corona-bedingten Zeitraffer finde ich allerdings besonders fies, weil er dem Sohn einen Großteil seiner letzten Kindergartenmonate geklaut hat. Der Bub wird im Herbst eingeschult. Für ihn geht damit eine kleine Ära zu Ende. Fast sechs Jahre lang war er in seiner Kita, erst als Krippen-, dann als Kindergartenkind. Wenn ich es mir genau überlege, hat er mehr wache Zeit dort verbracht als mit uns.

Vieles, was wir ihm vergeblich versucht haben beizubringen, hat er in der Kita gelernt, unter anderem wie man einen Stift hält und richtig in ein Taschentuch schnäuzt. Er hat dort seine Leidenschaft zum Fußball ebenso vertieft wie seine Nicht-Leidenschaft fürs Malen. Er hat gelernt, sich in eine Gruppe einzufinden, zu glänzen und zurückzustecken. Vor allem aber hat er gelernt, wie wunderbar es ist, Freundinnen und Freunde zu haben. Er ist dort vom Baby, das mich nicht gehen lassen wollte, zum eigenständigen Schulkind gereift, das mich mit den Worten „Mama, warum holst du mich schon ab!!!?“ empfängt.

Luxusprobleme, schon klar!

Der Abschied vom Kindergarten, er hätte ein pompöser werden sollen. Mit Schulentdecker-Themen-Wochen das ganze letzte Jahr über. Mit Ausflügen für die Vorschulkinder. Mit Sommerfest und der Übernachtung im Kindergarten, worauf sich der Sohn schon schon seit einem Jahr freut. All das fiel coronabedingt ins Wasser. Luxusprobleme, schon klar. Aber arg schade darf ich es ja trotzdem finden.

Womit wir schon beim eigentlichen Thema wären: Corona hat nämlich nicht nur dem Kind die letzte Kita-Zeit geklaut, sondern auch mir! Als ich kürzlich die Abmeldung vom Kindergarten zum 15. September unterschrieben habe, hatte ich einen dicken Klos aus Stolz und Wehmut im Hals. Und dann habe ich an die Kollegin gedacht, die letztes Jahr mit wässrigen Augen von der Einschulung ihrer Tochter berichtete, wobei ich mir dachte: Nun übertreibt sie es aber! Jetzt verstehe ich, wie es ihr ging.

Eine große Zeitenwende – und eine kleine

Erschwerend kommt hinzu, dass diese kleine Zeitenwende in unserer Familie mit dieser großen Zeitenwende namens Corona zusammen fällt. Es ist doch gerade ein einziges Abschiednehmen: Von dem Alltag und der Welt, wie wir sie kannten. Von meinem Kindergartenkind. Von mir selbst als Mutter eines kleinen Jungen. Der Sohn wird mir wohl nie wieder durch den Gruppenraum entgegensausen und in die Arme springen. Schniiiieeeef!

Wie immer hilft es, sich anzugucken, wie das Kind das mit dem Abschied macht. Das hat nämlich nach der Coronazwangspause beschlossen, es im Kindergarten langweilig zu finden. „Da lerne ich nix“, erzählte der Sohn mir kürzlich. Ich vermute zwar, dass es eher darum geht, dass er mit den Kumpels aus der anderen Gruppe wegen Infektionsschutz nicht Fußballspielen darf. Aber immerhin: Der Bub freut sich jetzt auf die Schule. Es wird also Zeit, sich mitzufreuen.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Lisa Welzhofer ist Autorin der Stuttgarter Nachrichten und Mutter zweier Kinder (6 und 3 Jahre alt). In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Familie und übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.