Verblöden in der Elternzeit – mehr als nur ein Klischee? Überhaupt nicht, sagt unsere Kolumnistin. Weil man die eigene Filterblase verlässt, Vorurteile ablegt und Menschen trifft, die anders leben und denken.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Dass Mütter und Väter in der Elternzeit ein bisschen verblöden, ist so ein landläufiges Klischee. Und es stimmt schon, die Themen, mit denen man sich beschäftigt, sind nicht gerade nobelpreisverdächtig. Es geht um Babyausscheidungen und Kinderkrankheiten, Breirezepten und Stillprobleme. Man redet manchmal tagelang nur Zweiwortsätze und liest Bücher ohne Text. Eine intellektuelle Herausforderung ist es da schon, wenn der Leiter der Krabbelgruppe etwas über Schema-Theorie in der kindlichen Entwicklung erzählt.

 

Trotzdem hat kaum etwas meinen Horizont so erweitert, wie das gute Jahr, das ich nach der Geburt meiner zwei Kinder jeweils zuhause verbracht habe (und noch verbringe). Und das liegt nicht etwa daran, dass ich die Zeit für berufliche Fortbildungen genutzt hätte, wie das schlaue Frauen-Karriere-Ratgeber gern empfehlen und einen damit latent unter Druck setzen. Und damit meine ich auch nicht, dass man mit Kindern überhaupt ganz viele neue Dinge lernt, vor allem über sich und das Leben.

Das Babyjahr war für mich vor allem eine Zeit, in der meine Filterblase geplatzt ist. Davor habe ich mich spätestens seit dem Studium hauptsächlich zwischen Leuten bewegt, die so ähnlich sind und denken wie ich: Akademiker, die irgendwas mit Medien machen.

Zeit, Menschen zu treffen, die anders leben und denken

In meiner Elternzeit hingegen habe ich in den Babykursen viele Menschen – hauptsächlich Frauen - kennen und schätzen gelernt, die ganz andere Dinge tun. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass man als Chemikerin Hallenbäder mit anderen Augen sieht und als Statistikerin schon mal übers Land fährt und verschollene Häuser sucht. Ich habe gelernt, wie umfangreich der Job einer Ortsvorsteherin ist und staunend den Metoo-Geschichten einer Zahnarzthelferin zugehört. Und außerdem weiß ich jetzt, wie genau eine Textilingenieurin arbeitet und dass Gauklerin ein boomender Beruf ist.

Interessanter noch als den Einblick in andere Professionen finde ich allerdings, Menschen zu treffen, die ganz anders leben und denken als ich. Auf den Spielplätzen und in den Kitas rund um den Stuttgarter Ostendplatz, wo wir zuhause sind, treffen sich Eltern aller Nationalitäten und Milieus. Zwischen Sandspielzeug und Elternabenden kommt man sich da automatisch ein ganzes Stück näher.

Post-Baby-Schönheits-OPs-Gespräche auf dem Spielplatz

Das kann spannend sein, wenn ich am Klettergerüst mit der Frau, bei der ich normalerweise an der Drogeriekasse bezahle, über die gerechte Aufgabenverteilung zwischen Müttern und Vätern ins Gespräch komme, oder mir eine 25-jährige Mutter von ihren Post-Baby-Schönheits-OPs erzählt. Das kann aber auch ätzend sein, wenn ich mit anderen Eltern tatsächlich darüber diskutieren muss, warum die Kinder zum Kita-Spielzeugtag keine Waffen mitbringen sollten. Zu sehen, wie andere mit ihrem Nachwuchs umgehen, kann wahlweise ziemlich bestärkend oder erschütternd für die eigenen Erziehungs-Glaubenssätze sein.

Ich habe in meiner Elternzeit häufig meine Komfortzone verlassen. Ich habe fest geglaubte Einstellungen überdacht, manches Vorurteil meinerseits entlarvt und gelernt, andere Meinungen einfach mal stehen zu lassen.

Ich finde, das ist mehr, als jede Fortbildung mir beibringen kann. Wäre schön, wenn das mal in einem Karriereratgeber stünde.

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Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Kinder, Kessel und mehr.