Der StZ-Kolumnist Oskar Beck macht sich Gedanken und Sorgen um den VfB Stuttgart. Und das raubt ihm den letzten Schlaf.

Stuttgart - Als zu Beginn dieser Saison schnell vollends klar wurde, dass dem VfB nur noch zu helfen ist, wenn man über ihn schweigt, hat sich auch der Kolumnist hier geschworen: Kein Wort mehr.

 

Doch das hehre Gelübde lässt sich jetzt nicht länger durchhalten, es wird verdrängt von der Informationspflicht. Denn wenn überhaupt noch einer Licht ins Dunkel des Siechtums unseres einstigen schwäbischen Fußballstolzes bringen kann, dann ich. Das liegt an dem inneren Draht in Form einer alten Nabelschnur, die mich mit dem VfB-Präsidenten Wolfgang Dietrich von Geburt an verbindet. Wir sind nämlich durch eine Laune des Zufalls fast zeitgleich im selben Haus im Remstal auf die Welt gekommen – genau gesagt in der Heil- und Pflegeanstalt in Stetten, die in jenen undurchschaubaren Nachkriegswirren Ende der 1940er Jahre auch als Entbindungsheim diente.

Ob wir uns womöglich dort schon über den Weg gekrabbelt sind, ist jetzt zweitrangig – auf jeden Fall ist der erwähnte Draht derart heiß, dass mir der VfB-Chef neuerdings im Schlaf begegnet.

Die Meute bebt vor Zorn

Wie grässlich darf so ein Albtraum eigentlich sein? Urplötzlich hat man sie vor sich, diese schemenhaften Bilder wütender Gestalten, die in weiße Trikots mit roten Brustringen gewandet sind. Die Meute bebt vor Zorn, fletscht mit den Zähnen, jagt auf der Königstraße einen Menschen vor sich her in Richtung Bahnhof und brüllt: „Dietrich raus!“ Feindselig drohen die Fratzen, den VfB-Präsidenten vor den Eilzug Stuttgart–München zu stoßen, doch im letzten Moment kommt der Kolumnist um die Ecke gebraust. Dietrich reißt die Tür auf, rettet sich mit einem Hechtsprung auf den Beifahrersitz und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

„Warum tun diese Menschen das?“, fragt er.

Weil der VfB am Stock geht, bringe ich ihm behutsam bei. Weil ständig sinnlos Geld verpulvert wird für wertlose Spieler, ratlose Trainer oder einen erfolglosen Sportchef, der wunderbar reden kann, aber besser jedes zweite Wort verschluckt hätte. Und weil der VfB mit Reschkes Abfindung und dem Geld für Badstubers Vertragsverlängerung das ganze Stadion hätte anstreichen und tapezieren und die Schalensitze durchgängig mit 14 Karat Gold hätte lackieren können.

„Was Sie da sagen, ist vollkommen richtig“, lobt mich Dietrich. „Aber wir mussten Badstuber im letzten Sommer halt mit Gewalt halten. Es sah nach der WM ja so aus, als könnten wir für 50 Millionen blitzschnell den Pavard loskriegen. Also brauchten wir Badstuber in der Hinterhand. Der hat das leider brutal ausgenutzt, für einen fetten Rentenvertrag. Den Fehler mache ich nie wieder.“

Ich unterbreche Sie nur ungern, bremse ich Dietrich – aber haben Sie nicht soeben Thomas Hitzlsperger mit einem Dreieinhalbjahresvertrag ausgestattet, einen Novizen im Managerwesen?

Fürchten Sie da nicht schon die nächste Abfindung, mit der man zehn eiskalte Winter lang das VfB-Clubheim, die Klobrillen, den Rasen im Stadion und die komplette Mercedesstraße hätte beheizen können?

„Ja, freilich“, nickt Dietrich. „Aber andernfalls hätte der Hitzlsperger das ja gar nicht gemacht. Dann hätte ich den Klinsmann nehmen müssen, und dann?“

Und dann?

Warum nicht Klinsmann?

„Na, Sie sind gut“, lacht mich der VfB-Boss aus, „jeder kennt doch den Jürgen. Als ihn der DFB damals zum Bundestrainer machte, rief er: Als Erstes wird jetzt der ganze Laden hier aufgeräumt! Wenn du den Klinsmann als Trainer oder Manager holst, oder gar als beides, kannst du als Präsident einpacken, der degradiert dich sofort zum Grüßgottonkel. Nur mit Hitzlsperger, der im VfB-Volk ähnlich beliebt ist, kannst du so einen ausbremsen.“

Aber lähmt Sie jetzt nicht die Angst, frage ich Dietrich, dass Klinsmann Sie bei der erstbesten Hauptversammlung aus dem Amt putscht, in einer Nacht der langen Messer?

„Gar nicht, denn wir gewinnen ab sofort“, beruhigt mich Dietrich. „Am Samstag ein 3:0 gegen Leipzig, und wir starten durch und sind nächstes Jahr die dritte Kraft in der Bundesliga.“

Und wenn es 0:3 ausgeht?

„Dann tauscht Hitzlsperger halt den Trainer aus. Als Gesicht des Neuanfangs hat er ja, was bei Reschke schwierig geworden wäre, wieder einen Schuss frei.“

Die nächste Abfindung also, diesmal für Weinzierl?

„Geld ist doch da“, besänftigt mich Dietrich. „Was glauben Sie denn, warum wir den Fußball ausgegliedert und uns Kapital besorgt haben? Den Magath, falls der ab Sonntag als Feuerwehr kommt, bezahlen wir aus der Portokasse, und er kriegt einen Spritzenwagen mit den ganz dicken Schläuchen noch mit dazu. Und falls es der Gisdol wird, ist es auch gut. Wir reden doch hier über Peanuts.“

Die Sorgen der Fans

Herr Präsident, bitte Hand aufs Herz: Sind die VfB-Fans zu Unrecht besorgt?

„Ja, ja und ja!“, schwört Dietrich. „Ich halte, was ich ganz am Anfang versprochen habe: Ich bin der Dietrich, der dem VfB das Türschloss in die Zukunft knackt. Ich bin euer Geldschrankknacker, und kein Pfennig wird bei mir sinnlos verplempert – schreiben Sie das bitte, sonst behauptet halb Stuttgart am Ende noch, dass ich den Fußball wie den Bahnhof tieferlege und den VfB ausrotte wie im Schlossgarten den Juchtenkäfer.“

An der nächsten Ampel springt der VfB-Präsident bei Rot aus dem Auto und taucht unter im Dunkel des Albtraums. Schweißgebadet schrecke ich auf.