Knallende Türen, Keifereien, Klamauk: Das Boulevardtheater mag’s turbulent. Fast immer ausverkauft ist „Em Charley sei Tante“ in der Marquardt-Komödie. Stuttgart liebt schwäbische Stoffe. Ein Besuch zum Abschied eines Publikumshits.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Stets müssen die Zuschauer unten gescheiter sein als die da oben – als die auf der Bühne. Werde dieser Grundsatz beachtet, hat der 1914 verstorbene Brite Brandon Thomas einmal gesagt, dem die Theaterwelt den bis heute nicht totgespielten Klassiker „Charleys Tante“ verdankt, könne die Rechnung des Autors aufgehen.

 

Jeder im Saal der Komödie im Marquardt weiß, dass die im grünen Kostüm hampelnde Wuchtbrumme ein Mann ist, nicht die echte Erbtante aus Brasilien, die flugstreikbedingt fehlt. Nur die Trottel auf der Bühne wissen nix. Die älteren Herren erleben bei der falschen Dame ihren zweiten Frühling und werden ganz wuschig.

Wie der Schnäpperle-Stammtisch zu seinem Namen kam

Monika Hirschle, Publikumsliebling an der Bolzstraße, hat das einst von Heinz Rühmann und Peter Alexander gespielte Stück auf Schwäbisch übersetzt – mit feinstaubigen Anspielungen auf hiesige Besonderheiten. Stuttgart 21 kommt drin vor, das Anbandel-Schiff, das auf dem Neckar nach Poppenweiler schippert – sogar der Schnäpperle-Stammtisch. Warum die jahrzehntelang in Brasilien lebende Erbtante so gut Schwäbisch spricht, wird sie im Stück gefragt. Beim Schnäpperle-Stammtisch, antwortet sie, habe man sich dort regelmäßig getroffen, um die schwäbische Sprache und schwäbische Eigenarten zu pflegen.

Achteinhalb Wochen lang löste allein das Wort „Schnäpperle“ großes Gelächter aus. Was viele Komödienbesucher nicht wissen: Den Stammtisch mit dem schwäbischsten Wort für das allermännlichste Körperteil gibt es in Stuttgart tatsächlich. Kurz vor der Dernière von „Em Charley sei Tante“ sind die Mitglieder des echten Stammtisches zur Aufführung ins ausverkaufte Haus gekommen – die „Moni“, wie die Hirschle genannt wird, gehört selbst zu dieser Runde.

Schwäbische Lieblingsworte

Vor bald drei Jahren hat Stuggi.tv bei einer Buchpremiere prominente Stuttgarter befragt, was ihr schwäbisches Lieblingswort sei. Die Antworten lauteten „Spätzle“, „Schneggle“ oder „Glotzböbbel“. Die SchauspielerinMonika Hirschle entschied sich für das „Schnäpperle“, wobei sie nicht den Türschnapper am Eingang meinte, sondern das Synonym für Bubaspitzle. Der Klang schwäbischer Worte erfreut nicht nur schwäbische Herzen. In dieser Mundart ist Musik! Wie lautmalerisch doch die Leit’ bei ons schwätzet! Doch wird der Schwabe, wenn’s zur Sache geht, ganz leis’? Zieht er dann das Schnäpperle ein?

Wenn ihr Lieblingsblatt den Mut habe, über ihr Lieblingswort zu schreiben, sagte die Hirschle, gebe sie einen Schampus aus: „Ond des, wo mir Schwoba höchstens zom Schorle eiladet.“ Wenig später erschien in den Stuttgarter Nachrichten eine Kolumne zum Schnäpperle – es war der Startschuss zur Gründung des gleichnamigen Stammtisches. Unter anderem gehören ihm Schwabenfans wie Heiko Volz, Volker Lang alias Äffle und Pferdle, Blogger Patrick Mikolaj vom Unnützen Stuttgartwissen und Frl. Wommy Wonder alias Michael Panzer an.

Die Stammtischrunde hat sich nun das Chaos mit Charley und Konsorten angesehen. Die schwäbische Übersetzerin Monika Hirschle ist in dem an Klischees nicht armen Stück die echte Tante. Außerdem spielt Lilli Hollunder mit, die Ehefrau von Fußball-Torwart René Adler.

„Das Strumpfband meiner Liebeslust“ auf Schwäbisch

Wenn an diesem Sonntag die falsche Tante zum letzten Mal in einer der erfolgreichsten Marquardt-Komödien stöckelt, sind Dernière-Gags des Ensembles verboten. Der scheidende Intendant Manfred Langner hat bei Verstoß gegen seine Anordnung den Schauspielern Konventionalstrafen angedroht. „Das Stück ist lustig genug“, erklärt Theatersprecherin Annette Weinmann. Da brauche man keine zusätzlichen Späße, die das Publikum meist ohnehin nicht verstehe.

Was Dernière-Witze sind, weiß Schnäpperle-Mitglied Wommy gut. Eine Kollegin brachte ihr mal programmgemäß eine geschlossene Käseplatte auf die Bühne. Sonst war immer Käse drin – doch am Ende das Foto eines nackten Mannes. Brüller!

Nach der Mundart ist vor der Mundart. Das Publikum will es! Im März folgt im Marquardt „Das Strumpfband meiner Liebeslust“ von Tobias Goldfarb auf Schwäbisch. Denn Schwobaluschd isch sauglatt.