Der digitale Wandel macht auch vor dem Tod nicht halt. Eine Ewigkeit dauert im Internetzeitalter manchmal nur noch ein paar Jahre.

Stuttgart - An melancholischen Novembernachmittagen kommt wieder die Erinnerung. Vor langer Zeit schrieb ich einmal auf einer elektrischen Schreibmaschine. Dann dachte ich plötzlich, ich sei tot. Meine Finger tippten auf die Tasten, aber kein Buchstabe schlug mehr auf das Papier. Die Materie gehorchte mir nicht mehr, also war ich zweifellos tot. Was passiert war: ein Kurzschluss hatte die Sicherung rausfliegen lassen, und dieser Kurzschluss war mit einer fundamentalen Erkenntnis verbunden: Dass es nämlich mit Maschinenhilfe neue, gewissermaßen virtuelle Arten des Todes – und damit auch des Totseins – gibt.

 

Der Autor Yuri Rubinsky hat Besuchern einer Konferenz in Kalifornien das digitale Schattendasein schon einmal eindrucksvoll demonstriert. Während das staunende Publikum auf den Projektionsschirmen seine Rede verfolgte, verließ er das Podium – sein Vortrag war aufgezeichnet gewesen, und er hatte eine Weile lippensynchron mitgesprochen. Die Schwierigkeiten mit dem digitalen Nachleben beginnen schon in dem Moment, in dem Nahestehende online vom Tod eines Bekannten oder Freundes erfahren. Wie drückt man seine Anteilnahme heutzutage aus, wenn einem Facebook dafür nur ein vollkommen unpassendes „Gefällt mir“ anbietet?

Ewigkeit im Netz kann im Übrigen von kurzer Dauer sein. Acht Jahre lang hatte der Gladbecker Bernd Bruns mit Behörden um eine Grabplatte für die letzte Ruhestätte seiner Mutter gekämpft, auf der auch die Internetadresse der von ihm eingerichteten Online-Gedenkseite verzeichnet ist; schließlich gab die Friedhofsleitung nach. Inzwischen hat sich die Adresse der Website allerdings geändert. Die in Stein verzeichnete URL führt nun zu einer Fehlermeldung. Die vier Kinder der schwedischen Lehrerin Anna-Lena „Moje“ Hashmi hatten ihrer Mutter bereits 1999 einen Grabstein mit Internetadresse gesetzt, die zu einer kleinen Fotogalerie, einer Rezeptsammlung und einer Liste ihrer Lieblingsbücher führte. Auch diese Anlaufstelle ist inzwischen nicht mehr erreichbar. Auf einem Foto zum Todestag von Anna-Lena Hashmi ist ein neuer Grabstein zu sehen – ohne Internetadresse.

Währenddessen hat man in Japan einen Robot-Friedhof erfunden, um den exorbitanten Kosten für Grabstellen in Großstädten zu begegnen. Die Lösung ist, ähnlich dem Mainstream in der Kommunikationstechnik, mobil. Urnen werden hierzu in einem mehrstöckigen Bestattungshaus untergebracht und mit Hilfe einer Hightech-Lagerverwaltung bei Bedarf zugänglich gemacht. Die Hinterbliebenen können mit Hilfe einer Chipkarte einen Roboterarm aktivieren, der die Urne aus dem Lager in den Trauerraum transportiert. Dort wird die Ankunft der Urne von Musik aus dem Lautsprecher begleitet und auf einem Bildschirm werden Fotos des Verstorbenen gezeigt. Bis zu 7000 Verstorbene können so auf einer Fläche untergebracht waren, auf der auf einem herkömmlichen Friedhof maximal 100 Tote Platz hätten.

Ein Berliner Steinmetz hat die Friedhofserneuerung nun auf den aktuellen Stand gebracht. Stefan Herrmann graviert QR-Codes auf Granitplatten. Das Pixelmuster kann mit dem Smartphone aufgenommen und in eine Internetadresse aufgelöst werden, beispielsweise die einer Seite zum Angedenken des Verstorbenen. Um zu verhindern, dass man pietätlos auf das Grab treten muss, um das Codemuster mit dem Handy zu fotografieren, fertigt Herrmann eine kleine Stele an, an deren Oberseite das QR-Bild auf einer Granittafel eingearbeitet ist und die dann direkt am Friedhofsweg steht.