Es ist weder fortschrittlich noch frauenfreundlich, wenn Ärzte für Abtreibungen in ihrer Praxis werben dürfen, meint unserer Kolumnistin.

Stuttgart - Das Kind, wenn ich es zur Welt gebracht hätte, wäre heute längst erwachsen. Vielleicht hätte diese Tochter oder dieser Sohn selbst Kinder, und ich könnte stolz und glücklich auf eine große Schar von Enkeln schauen. Doch es hat nicht sollen sein. Wir verdienten wenig. Die Wohnung war klein. Kein Raum für ein zweites Kind. Zudem brannte ich vor beruflichem Ehrgeiz. In der Nähe gab es keine auch nur halbwegs akzeptable Kita. Vor allem aber war der Zeitgeist dem Kinderkriegen abhold.

 

Der erste Nachkriegsansturm für die Gleichberechtigung von Frau und Mann hielt uns noch auf Trab. Man las Simone de Beauvoir’s „Das andere Geschlecht“ und Betty Friedan’s „Der Weiblichkeitswahn“. „Mein Bauch gehört mir“, skandierten wir jungen Frauen auf Demos. Alice Schwarzer und viele andere Prominente hatten öffentlich bekannt, abgetrieben zu haben. Danach war strafrechtlich aus dem Verbot des Paragraph 218 die Fristenlösung hervorgegangen. Es lag in der Luft, dass frau vor allem sich selbst verwirklichen müsse, was unter den Umständen, die damals herrschten, mehr als schwierig war. Manche haben es trotz der Geburt von zwei oder drei Kindern geschafft, im Beruf voranzukommen – vielleicht weil genug Geld für Hilfen zur Verfügung stand oder die Großeltern einspringen konnten.

Ich war auf mich gestellt. Kinder waren trotz des Wandels fast ausschließlich Frauensache, und niemand versuchte, mir die Entscheidung zum Abbruch auszureden. Der Arzt befand, ich sei zu alt. Und das mit Ende Dreißig, wenn Frauen heute mit der Familiengründung beginnen. Die Ärztin in der Beratungsstelle kam gar nicht auf die Idee, meinem Entschluss zu widersprechen. In der Familie sah man Probleme. Freunde fragten, ob ich wirklich noch einmal von vorne anfangen wolle. Alle waren benebelt vom feministischen Zeitgeist. Nicht zuletzt ich selbst. Ich hatte keinen Zweifel, dass es nicht zu schaffen sei, neben den journalistischen Vorhaben ein zweites Kind aufzuziehen. Fast schien es eine Pflicht zu sein, nicht zu gebären, sondern zu schreiben. Dabei hätte das eine das andere keineswegs ausgeschlossen.

Die doppelte Aufgabe hätte mich nicht zur Verzweiflung gebracht

Natürlich wäre es sehr anstrengend geworden. Doch aus dem Abstand der Jahre gesehen, hätte meine Kraft wahrscheinlich ausgereicht. Die doppelte Aufgabe hätte mich nicht zur Verzweiflung gebracht, sondern sogar glücklich gemacht. Solche schönen Fügungen sind freilich nicht am Ende jeder durchgehaltenen Konfliktschwangerschaft zu erwarten. Fraglos gibt es Situationen, in denen es unzumutbar ist, ein Kind in die Welt zu setzen. Die geltende Fristenregelung trägt dem Rechnung. Danach sind Abbrüche in den ersten drei Monaten zwar rechtswidrig, aber straffrei. In der Bundesrepublik treiben jährlich rund 100 000 Frauen ab. Die Zahl erzählt von viel empfundener oder wahrer Not und von massenhafter Lösung.

Trotzdem soll es noch einfacher werden, eine Schwangerschaft zu beenden. Seit die Ärztin Kristina Hänel wegen ihrer Werbung für Abbrüche verurteilt wurde, ist Empörung angesagt. Ein Aufschrei für die Abschaffung des § 219a, der solche Selbstreklame verbietet, hallt durch die Lande. Frau Hänel ist zur Heldin des Fortschritts mutiert. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, Tausende von Frauen mit dem Wunsch abzutreiben hätten keine andere Wahl, als sich über eine Werbung nach dem Muster dieser Ärztin zu informieren, wann und wo das stattfinden könnte. Diese Armen blieben alleingelassen von der Gesellschaft und dem Gesetzgeber, sofern der frauenfeindliche Paragraph nicht abgeschafft würde.

Was für ein Unsinn! Wenn in Deutschland 100 000 Frauen legal eine Schwangerschaft abbrechen lassen, wenn man sich bei Ärzten, im Internet, aus Broschüren und in Beratungsstellen alle notwendigen Informationen besorgen kann, wo ist dann das Problem? Aber die künstliche Erregung über ein Unrecht, das keines ist, über Opfer, die keine sind – das hat zurzeit Konjunktur.

Hier treibt ein falsch verstandener Feminismus

Es ist ein falsch verstandener Feminismus, der hier Blüten treibt – wahrscheinlich als Folge des Aufruhrs um „mee too“. Wer sich für modern und politisch korrekt hält, reiht sich ein. Die Jusos beschließen gleich noch die Abschaffung des § 218 dazu, was Abtreibung grundsätzlich und in jedem Monat der Schwangerschaft möglich machen würde und was die jungen Leute wohl nicht ganz zu Ende gedacht haben. Das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ veranstaltet bundesweite Proteste gegen den § 219a. Und Annalena Baerbock, die Chefin der Grünen, ruft die SPD zum Mitmachen auf.

Immerhin liegen drei entsprechende Gesetzentwürfe vor – von den Linken, von der FDP und den Grünen –, die alle mehr oder weniger deutlich dem inkriminierten Paragraphen ein Ende bereiten wollen. Damit schwimmen diese Parteien wohlig im Mainstream. Sie werden als kühne Vorkämpfer wahrgenommen und dürfen bei Wahlen auf politische Ernte hoffen. Gleichsam als Beifang verbreitet sich wieder einmal der Nebel ideologischen Denkens. Kaum jemand widerspricht. Dabei ist doch klar: eine Frau, die aus welchen Gründen auch immer abtreiben will, kann es tun. Aber die Werbung dafür hat ein übles Gschmäckle.