Die Energiewende herbeireden, aber viel Energie verbrauchend das Leben genießen: So fromm wie wir Deutschen uns geben, wollen und können wir offenbar gar nicht sein, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Unlängst, im Verlaufe einer privaten Abendeinladung, kam ich mit einem der Gäste in ein aufschlussreiches Gespräch. Mein Gegenüber, Mitte fünfzig, ein Babyboomer, wohlbehütet aufgewachsen, präsentierte sich uneingeschränkt als Jünger der neuen Zeit. Er fahre nur hybrid, erzählte er mir, sofern er überhaupt mit dem Auto unterwegs sei. Meistens entscheide er sich für öffentliche Verkehrsmittel. Wenn alle die Luft verpesten, müsse er es nicht auch tun. Insofern sei er, obwohl SPD-Wähler, ganz „grünversifft“, wie man heute so sage. Dann blickte er mich streng an, wunderte sich, dass in meiner Familie jeder ein eigenes Auto fahre, und schlug vor: Wir könnten uns doch auf einen einzigen Wagen beschränken und abwechselnd das Notwendige erledigen.

 

Dreimal pro Jahr per Flugzeug in den Kurzurlaub

Klar. Asche auf mein Haupt. Schon schämte ich mich, weil ich so leidenschaftlich gern mit meinem kleinen Benziner – kein Diesel, ich bitte Sie! – durch die Gegend brause. Aber dann, im weiteren Verlauf unserer Unterhaltung, berichtete der edle Mann von seinen Kurzurlauben in den vergangenen Monaten – auf Madeira, in Israel, in Marokko. Drei Flugreisen in einem Jahr, geradeso als ob laue Lüfte und nicht Kerosin-getriebene Maschinen die Passagiere zu diesen Orten trügen. Ich traute meinen Ohren nicht.

So also kann der Mensch sich selbst belügen: energiewendisch daherreden und energieverbrauchend genießen. Eine feine, zumeist sehr bürgerliche Sache ist das, weitverbreitet in der Republik und mit Tradition – unter Privatleuten wie in der Politik. Man zeigt sich verantwortungsbewusst gegenüber der Gemeinschaft, präsentiert sich ganz auf der Höhe der ökologischen, weltoffenen, multikulturellen Zeit, ist Vorbild, Mitglied einer Gruppe, einer Gemeinde, einer Partei und fühlt sich großartig. Da dürfen sich diese Energiefrommen schon mal an die Brust klopfen und auf sündige Autofahrer wie mich verächtlich tadelnd herabschauen. Die guten Taten glänzen nun mal im Licht. Den düsteren Rest sieht man eher nicht.

Batterien hinterlassen gefährlichen Müll

Denn auch die Batterien der E-Autos und E-Fahrräder hinterlassen bekanntlich gefährlichen Müll, mit dessen Export wir vielleicht eines schönen Tages Bewohner in Afrika oder in anderen Armutsländern beglücken werden. Und woher soll all das allein selig machende E, woher sollen die Unmengen Elektrizität kommen, wenn wir die Atomkraftwerke vollends abschalten, wenn wir Kohle, schwarz oder braun, nicht mehr verstromen, und wenn wir Abhängigkeiten vom Gas des bösen Wladimir Putin vermeiden wollen?

Außerdem scheint die Sonne in unseren Breiten nicht immer so ausdauernd auf die Solarzellen wie im letzten Sommer. Bisweilen stehen auch die Windräder still – ganz abgesehen davon, dass sie den Naturfreunden ein Dorn im Auge sind, die Landschaft verschandeln, Biotope zerstören und Vögel meucheln. Der Zoff über geplante Strommasten und Hochspannungsleitungen ist gleichfalls nicht von Pappe. Da streitet dann, oh weh und ach, Grün gegen Grün. Und keiner weiß, wie’s ausgeht.

50 Prozent Erneuerbare bis 2030 – kann das gelingen?

Es ist eben nicht ganz so einfach mit der Energiewende und der deutschen Makellosigkeit. 50 Prozent Erneuerbare in unseren Netzen bis 2030, 80 Prozent gar bis 2050, wie vorgesehen – kann das gelingen? Erst recht zu bezahlbaren Preisen für die Verbraucher und ohne den Industriestandort Deutschland zu gefährden? Und wenn das Modell zu kippen droht? Was dann? Dann importieren wir den Strom aus den rissigen Meilern hinter unseren Grenzen. Hauptsache, wir bleiben sauber.

Unbegreiflicherweise haben sich die Japaner trotz der Katastrophe von Fukushima anders entschieden. Sie halten an der gefährlichen Technologie fest. Wir aber, die wir eine halbe Weltumrundung entfernt leben, setzen gerade wegen Fukushima die prompte Energiewende anstelle eines bedächtigeren Ausstiegs in Kraft. Kann man das verstehen?

Wir sind Meister der politischen Moral

Man kann. Wir Bundesrepublikaner wollen eben nicht nur Exportweltmeister, wir wollen auch Ökoweltmeister und Meister der politischen Moral sein. Deshalb zauberte Angela Merkel die Energiewende wie das Kaninchen aus dem Hut. Deshalb gab sie im Schicksalsjahr 2015 einem Massenansturm von Flüchtlingen nach – und dies nicht nur für einen humanitären Moment.

Mit ihren willkommensfreundlichen Fotos und Äußerungen sorgte sie für noch mehr Zulauf. Bis heute beharrt sie darauf, richtig gehandelt zu haben, obwohl sie ihren Kurs längst geändert hat. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende pries die Kanzlerin ihre Entscheidungen von damals sogar als einen Beitrag zur Stabilisierung der Region. Darauf muss man erst einmal kommen.

Vom Erstarken der AfD im Geleitzug der Flüchtlingspolitik, von dieser nationalistischen Bedrohung für die Demokratie in der Bundesrepublik samt den anderen Riesenproblemen war nicht die Rede. Wen wundert’s? An allen Schwierigkeiten – mit der Integration, mit der Wohnungsnot, mit der Kriminalität und mit den Abschiebungen – trägt, dem Himmel sei Dank, eh der Seehofer Horst die Schuld.