Der „Spiegel“ hat Hamburg zur „Hauptstadt“ ernannt. Was das Comeback im Norden mit Stuttgart macht? Unser Kolumnist Uwe Bogen schreibt über Aale, Städte-Wahnsinn und das schlechte Gewissen der Hanseaten auf dem Fischmarkt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Warum Hamburg? In der jüngsten Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ wird Promi- Bewohnern der Hansestadt diese Frage gestellt. Warum Hamburg? Der als Tatortreiniger bekannte Schauspieler Bjarne Mädel etwa antwortet so: „Alles andere wäre Wahnsinn.“

 

Recht hat er! Wer in einer Stadt ohne Elphi, G-20-Gipfel und Schanzenviertel lebt – also sagen wir mal: in Stuttgart –, muss wahnsinnig sein.

Noch weiß keiner, wann S 21 fertig ist

Der Autor Rainer Moritz, ein gebürtiger Schwabe, der Bücher wie „Wer hat den schlechtesten Sex?“ geschrieben hat und seit über zehn Jahren Leiter des Hamburger Literaturhauses ist, will in seiner Wahlheimat an der Elbe „bei aller gern zur Schau gestellten Zurückhaltung“ etwas Bedeutsames entdeckt haben: „die stille Sehnsucht, groß rauszukommen“.

Warum Stuttgart? In Sachen sehnsuchtsvoller Zurückhaltung sind wir Experten vom selben Schlag wie die Hamburger. Wortkargheit beherrschen wir ebenso. Bauverzögerungen gibt’s nicht nur bei einem Konzerthaus. Noch weiß keiner, wann Stuttgart 21 fertig ist. Und was die abgeschmetterte Olympiabewerbung des Stadtstaats angeht, können wir die daraus entstandene Kränkung nachempfinden, sofern wir uns dunkel daran erinnern, wie 2003 der damalige OB Wolfgang Schuster mit eingegipstem Arm beim nationalen Olympia-Casting den peinlichsten Auftritt seiner Laufbahn hatte.

Na und? Wer tief im Morast versinkt, schöpft Kraft fürs Comeback.

Das Wort „heimlich“ steht nicht vor „Hauptstadt“

Der „Spiegel“ hat jetzt Hamburg zur „Hauptstadt“ ernannt, ohne das Wort „heimlich“ davor zu stellen. Oder ist dies nur die Folge des Sparzwangs bei Medien? Die „Spiegel“-Kollegen müssen den Etat ihrer Reisespesen schonen, dürfen wohl nicht mehr ferne Metropolen erkunden und schreiben daher lesenswerte Seiten über das, was sie vor ihrer Haustür finden.

So was macht Mut. Mögen wir Stuttgarter von Feinstaub, Staus und Baustellen gedemütigt sein – es kann, wenn alles überstanden ist, irgendwann rasant aufwärts mit einst Gebeutelten gehen. Man hört bereits von Hamburgern, die bei Reisen in der Ferne sagen, sie kämen „aus der Stadt mit der Elbphilharmonie“. Und wir Stuttgarter? Hat jemand von uns jemals schon erwähnt, unsere Heimat sei die „Stadt mit den Autos“?

Hanseaten kommen mit "gesenktem Haupt“

Lieber Tatortreiniger Mädel, reden wir nicht länger drum herum. Sagen wir also frank und frei, wer vom Wahnsinn in Wahrheit viel härter abgeschossen wird.

Der helle Wahnsinn wird’s, was Hamburg erlebt, sobald am 7. Juli die Herrscher der Welt zum G-20-Gipfel anrücken. Unsere Mitmenschlichkeit will es, dass wir exakt in dieser Zeit Bewohnern Ihrer Stadt bei uns Asyl gewähren.

Bereits am 6. Juli, also wenn die Entourage der Regierungschefs im Norden anreist, beginnt auf dem Karlsplatz in Stuttgart der 30. Hamburger Fischmarkt. Keine Selbstverständlichkeit ist dies. Wir hätten auch sagen können: Nee, vorbei ist’s! Denn das Stuttgarter Weindorf kann nach über 30 Jahren sein Gastspiel in Hamburg ja auch nicht mehr fortsetzen. Nach der rekordverdächtigen Anhebung der Standgebühren (ja, ja Hamburg braucht viel, viel Geld wegen Elphi) bleiben unsere Wirte weit unten im Festland.

„Mit gesenktem Haupt“ werden nun die Hanseaten nach Stuttgart reisen, hat Wilfried Thal gesagt, der Präsident des Schaustellerverbandes Hamburg. Geplagt sind sie vom schlechten Gewissen, wie ihre Behörden daheim mit schwäbischen Weindorfwirten umgehen. Rollmopsfidel werden wir die Fischköpfe begrüßen und sagen: Willkommen, ihr Dösbaddel und Halsafsnieder! Jetzt muss nur noch der Tatortreiniger zum Backfisch-Gipfel nach Stuttgart kommen – in die unheimliche Hauptstadt des wilden Südens. Alles andere wäre Wahnsinn.