Unlängst hat unser Kolumnist Willy Weber in einem Münchner Seitenstraßenlokal ein dunkles Bier bestellt, mit dem Zusatz „bitte im Willybecher“, weil er wusste, dass sie welche haben. Er hat eben eine Schwäche für Trinkgläser und Haushaltsgeräte.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Unlängst habe ich in einem Münchner Innenstadtseitenstraßenlokal ein dunkles Bier bestellt, mit dem Zusatz „bitte im Willybecher“, weil ich wusste, dass sie welche haben, also Willybecher. Es trinkt sich besser draus. Manche Lokale haben keine, da kann man, wenn man das weiß, den Zusatz natürlich gleich weglassen. Die Kellnerin, halb so alt wie ich, schaute kurz auf und sagte: „Willy, was?“ Ich kenne die Frag – und antwortete: „Kein Krügerl, meine ich . . .“

 

Die Kellnerin machte ein Gesicht, aus dem sich rein gar nichts ablesen ließ, außer Ratlosigkeit. Sie sagte: „Moment“ und wechselte hinter die Theke, wo jetzt ein kleines Gespräch zwischen verschiedenen Fachkräften begann: Zapferin, Küchenhilfe, Bedienung. Schnell wedelte die Kellnerin mit einem leeren Glas in der Luft herum, welches wirklich sämtliche Anforderungen an einen 0,5-Liter-Willybecher erfüllte. Alle lachten – und dann kam auch schon das Bier. „Willybecher“, sagte die Kellnerin, „hab‘ ich noch nie gehört“. Lexika meinen, es handle sich beim Willybecher um, Zitat, „das Synonym für das deutsche Standardglas“: unten schmal, ordentliche Taille, dann wieder enger oben, in Größen von 0,2 bis 0,5 Liter.

Römergläser sind nahezu ausgestorben

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung nicht so richtig drin. Das ändert sich erst, wenn der Willybecher mal die – na? – 8000 Euro-Frage beim Jauch wird. Für „Nuppen“ müsste man dort wahrscheinlich schon ein bisschen mehr Geld ausloben. Nuppen sind diese kleinen Muster, gerne in Beerenform, die beim Römer auf den Schaft gesetzt wurden. Römer sind womöglich bekannter als Willybecher, obwohl sie weniger in Gebrauch sein dürften.

In der Gastronomie jedenfalls scheinen Römer, außer an der Mosel, nahezu ausgestorben. Und Römer hinter Glas in Haushalten älterer Damen, die diese Römer einmal in der Woche auswischen, prüfend gegen das Licht halten und nur ganz gelegentlich daraus trinken, werden auch weniger. In Wien hingegen habe ich sogar welche in der Auslage gesehen, und zwar nicht in einem Museum, sondern in einem „Etablissement für Kücheneinrichtungen und Hauskomfort Rudolf Waniek“, gegründet 1850, mittlerweile unter der sachkundigen Observanz von Herrn Sommer. Adresse: Erster Bezirk, Hoher Markt, schräg gegenüber von einem der besten Würstelstände der Stadt, Sie können das Haus nicht verfehlen.

Ich bin kein großer Freund des Einkaufens (und schon gar nicht des Einkaufens um des Einkaufens willen), doch in Antiquariaten und Haushaltsfachgeschäften kann man mich jederzeit ein paar Stunden parken. Mit einem Wort: bei Waniek schaue ich im Vorbeigehen eigentlich fast immer rein.

Vom Wert eines Tauchsieders

Ohne großartig in Haushaltsfachgeschäftepessimismus verfallen zu wollen, habe ich leichte Zweifel, dass es solche Institutionen in ein paar Jahrzehnten noch geben wird, wo man ganz spezielle 28-Millimeter-Schrauben genauso bekommt wie einen Flaschenverschluss, der diesen Namen auch verdient. Oder einen Bräter, in den ein halber Zentner Erdäpfel leicht reinginge. Oder Milchwächter, also Klepperle. Oder Tauchsieder. Immer mal wieder liebäugle ich mit den Tauchsiedern, weil außerhalb Englands in Hotelzimmern nur sehr selten das Thema ordentlich heißes Wasser, also kochendes, wirklich eine Rolle spielt.

Sagen wir so: hier in Wien bei Waniek lachen einen all diese Dinge förmlich an, und natürlich mag es manchem auch Eindruck machen, dass der Gründer des Geschäfts Hoflieferant gewesen ist. Was sich – anders als in Läden, die sich damit preisen, noch gute Dinge zu haben – preislich dankenswerterweise gar nicht niederschlägt.

Besonderen Schmäh hat die Firmenhistorie dadurch bekommen, dass der eigentlich als Erbe und Traditionswahrer vorgesehene Waniek Junior, Herbert geheißen, es in den vierziger Jahren vorzog, ans Burgtheater als Regisseur zu gehen, woraufhin Angestellte in die Bresche sprangen. Und so lebten sie als Traditionswahrer fort zwischen Willybechern und Schneidebrettern, Einmachgläsern, Kasserollen und Emailletöpfen. Eine Welt für sich, und wo gäbe es das noch? Aber: sehen Sie selbst!