Unser Korrespondent Mirko Weber hält sich für einen lausigen Schachspieler. Er denkt lieber über die wahren Meister des Fachs nach. Und über das Spiel selbst, das undurchschaubar ist – bei überschaubarer Verletzungsgefahr.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Möglicherweise wird uns Harald Keilhack in der Schachkolume auf der Freizeitseite in aller ihm eigenen Klarheit einmal auseinandersetzen, was genau noch drin ist, wenn zwei Könige und zwei Läufer die einzigen Figuren sind, die sich am Ende auf dem Brett befinden. So jedenfalls standen die Dinge, als im südindischen Chennai der Norweger Magnus Carlsen und der seit sechs Jahren amtierende Weltmeister Viswanathan Anand unter der Woche zum dritten Mal hintereinander Remis vereinbarten. Mittlerweile sind wir bei Nummer vier.

 

Schach, wunderschönes Spiel: undurchschaubar am Ende selbst für Computer, überschaubare Verletzungsgefahren für den Spieler. Dümmer wird man auch nicht. Und die Ruhe natürlich, während es drinnen tobt . . .

Vorweg vielleicht: ich bin – ich benutzte einen Ausdruck, den im Internet manche schreiben – ein lausiger Schachspieler. Allerdings lassen eben jene Kommentatoren, die sich in Foren selbst als lausig bezeichnen, meistens gleich eine Analyse folgen, die sie im Einzelfall als vollkommen unlausigen Spieler ausweist. Das ist bei mir anders. Andererseits könnte es jetzt wieder sein, dass Sie, wenn Sie Schach spielen (und sich natürlich jederzeit als lausigen Spieler bezeichnen würden), denken, dass ich gleich doppelt fintisiere und dass deshalb hinter dem Eingeständnis der Lausigkeit nicht anderes steckt als . . . Aber: nein.

Angreifen und Sack zumachen!

Indien ist weit weg, doch man ist das Gegenteil von allein, wenn man am Feierabend dem folgt, was Carlsen und Anand sich abverlangen. Und die wenigsten halten in der Eigenanalyse mit ihrer Meinung hinter dem Berg. Insofern, aber nur insofern, hat Schach, eine eher kulturelle Erscheinung, etwas Sportliches . Am schönsten in diesem Zusammenhang fand ich eine Aufforderung, die sich doch sehr bündig an den Weltmeister Anand richtete, als sich Carlsen in Partie drei mit seiner Dame im Eck versteckte (verstecken musste?). „Angreifen und den Sack zu machen!“ Selbstverständlich haben die Sekundanten von Anand ihre Augen und Ohren überall, und werden ihm genau diesen Satz zu gegebener Zeit als Motivationshilfe intravenös geben: Angreifen und den Sack zumachen!

Als ein mehr als minimaler Teil der öffentlich-rechtlichen Gebühren noch schlankerhand in auch leicht exotische Dinge investiert wurde, gab es im Fernsehen eine Schachsendereihe für lausige, aber interessierte Spieler, die von einem Duo moderiert wurde, das man ohne weiteres als Traumpaar bezeichnen durfte. Zum einen war da Helmuth Pfleger, von Hause aus studierter Mediziner, Psychoanalytiker und Nationalmannschaftsspieler. Er entpuppte sich als Systematiker, der ein Faible für historische Schach-Schnurren hatte, von denen es ja bis hinein ins Pathologische und Kriminologische jede Menge gibt. Man behielt also eine Konstellation, wenn man sie behielt, auch mal über eine Anekdote. Pfleger zur Seite ein Böhme, wie er im Buche stand: Vlastimil Hort, Großmeister und sehr ernsthafter Gegner von, unter anderen, Boris Spasski. Er war 1979 in die Bundesrepublik gekommen und verfügte über einen hundertprozentig liebenswerten Akzent: „Waisst du, Chelmut, worran ich dänkä . . . ?“, sagt er, und wenn man sich nicht meistens von seiner wunderbaren Art hätte man ablenken lassen, wäre von seinem Denken auch mehr hängen geblieben.

Von wegen Dummheit und Unverständnis

Heute gibt online Daniel King den Ton an, der die Schachspalte des „Guardian“ betreut und ein Deutsch auf Lager hat, das es einem ebenfalls nicht immer leicht macht, sich auf seine oft sehr witzigen Kommentare zu konzentrieren. Er klingt nämlich wie Alan Bangs, Brite auch er, der früher lange Jahre den „Rockpalast“ moderierte. Wenn bei Daniel King, trotz seiner Bemühungen, auch noch den Lausigsten geistig mitzunehmen, für mich noch viele Fragen offen bleiben, halte ich es mit den weisen Worten des großen Schachdenkers Robert Hübner: „Ich schaue mir alles gleichmäßig an. Dabei staune ich vor allem über meine eigene Dummheit und mein Unverständnis.“ In seinem Fall allerdings war das: Koketterie.