Nur wenn die Jazz Open junge Fans gewinnen, haben sie eine Zukunft. Mit zwei Sängerinnen unter 30 Jahren gelingt dies dem Stuttgarter Festival fantastisch. Der Sommer 2022 ist ein Genuss – doch was kommt danach? Eine Kolumne vom Schlossplatz.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

So viel roter Teppich wird in Stuttgart selten ausgerollt. Bei den 28. Jazz Open sind die Logen um eine zweite Etage erweitert – doppelt so viel Rot erstrahlt nun oben auf der Tribüne des Schlossplatzes als bisher. Auf beiden Stockwerken sieht man viele zufriedene Gesichter, die Begeisterung ausdrücken: Endlich wieder ein Festival, all die Liebe zur Musik, ohne Beschränkungen! Endlich wieder dieses mediterrane Feierflair und die Leichtigkeit unserer Stadt so wie früher! Das Motto scheint zu sein: Schnell noch mal richtig Party machen, bevor die Lichter ausgehen, sich noch mal intensiv amüsieren, bevor im Herbst die Energiekrise zuschlägt und dazu Corona uns erneut blockiert!

 

Auf dem roten Teppich gibt’s einen Herrn in Schwarz. Seine Aufgabe ist es, die Gäste der Sponsoren zur Ruhe zu ermahnen, sollten sie beim Anstoßen mal vergessen, dass die Musik die erste Geige spielt. Weil es zwei Logenebenen gibt, also sich die 700 Trägerinnen und Träger von VIP-Bändern verteilen können, entspannt sich die Lage etwas, und der Herr in Schwarz hat nicht so viel zu tun wie früher. Oder liegt’s am herausragenden Programm, das niemand verpassen will?

Die Stimmung ist seit dem Start der Jazz Open wie das Wetter – traumhaft!

Weil es höher hinaus geht als in den Vorjahren, fährt erstmals ein Lift die Gäste nach oben. Es ist der erweiterte Lastenaufzug, der allein schon deshalb benötigt wird, weil man Menschen mit Handicap das Erlebnis auf hoher Warte nicht verbauen will.

Die Stimmung ist seit dem Start der Jazz Open so wie das Wetter – traumhaft für ein Festival. Am nicht ausverkauften Donnerstagabend (es sind 5000 Besucherinnen und Besucher da, 7000 wären möglich) bleiben zwar Plätze frei, doch viel wichtiger ist, dass beim Konzert der Ladys mit der Zukunft begonnen wird. Die Sängerinnen Celeste, 28, und Jorja Schmith, 25, sind die Headliner, zwei starke Frauen unter 30, die dafür sorgen, dass sich das Publikum deutlich verjüngt. „Viele der älteren Jazz-Open-Gänger, die beide nicht kannten, waren hinterher ebenfalls begeistert“, berichtet Promoter Jürgen Schlensog. In den Logen (dabei: das vielfältige Stuttgart – vom Modemann Winnie Klenk bis zum Cavos-Wirt Hiki Ohlenmacher, von der Stylistin und Dauner-Witwe Randi Bubat bis zur Kunstmuseums-Chefin Ulrike Groos) wird ihm attestiert, ein gutes Gespür für die Großen von morgen zu haben. Beide Sängerinnen, die bisher kaum Live-Shows in Deutschland hatten, seien backstage selbst geflasht gewesen von der Produktion und dem Publikum, berichtet Schlensog. Seine Einschätzung: „Celeste traue ich ein große Zukunft zu.“ A Star is born – und Stuttgart ist von Anfang an dabei.

Das Gemeinschaftserlebnis geht ihnen unter die Haut

Ohne Fannachwuchs kann ein Festival nicht überleben. Das 1967 gegründete Jazzfestival in Montreux hat kürzlich die Partnerschaft mit TikTok verkündet, dem Portal der 20-jährigen. Große Namen, heißt es dort, seien bei jungen Menschen nicht so wichtig, ihnen gehe es mehr um ein Gemeinschaftserlebnis. Im Ehrenhof von Stuttgart schreitet Celeste, die dank ihrer starken Stimme mit der vor elf Jahren verstorbenen Amy Winehouse verglichen wird, mit einem wohl endlosen Mikrofonkabel singend durchs vordere Stehplatzpublikum. In Großaufnahmen der Kamera sieht man junge, verzückte Menschen um sie herum – ein Gemeinschaftserlebnis geht ihnen unter die Haut.

Sting kommt ohne Wein – aber mit der „Message in a bottle“

Die 1994 gegründeten Jazz Open sind fast 30 Jahre jünger als das Jazzfestival in Montreux, aber in der Champions League angekommen, was sich allein daran zeigt, dass der Sender Arte etliche Konzerte der Saison 2022 aufzeichnet oder live streamt. „Das haben wir uns hart erarbeitet“, sagt Schlensog. Am Sonntag wird es voll beim Festival. Sting wird seine Welthits spielen. Vor drei Jahren wollte er bei seinem Stuttgart-Besuch auch Flaschen aus seinem italienischen Weingut vorstellen. Diese exklusive Weinprobe ist diesmal gestrichen. „Message in a bottle“ steht aber auch ohne Weininhalt auf seiner Setlist. Das Publikum kann es kaum erwarten!