Die Kanzlerin ist geschwächt. Die SPD könnte nicht als Retterin Merkels, sondern der Nation punkten, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Ach, Berlin! Bedauernswerte Regierungszentrale. Grausliche Schlangengrube. Da wimmelt es ja nur so von Verrätern, Tricksern, Täuschern, Versagern, Sündern, Schuldigen und Aberschuldigen. Man weiß gar nicht, wen man am meisten verdammen soll. Zuerst natürlich den Hochglanzboy von der FDP, der drei ausgewachsene Parteien vier Wochen lang an der Nase herumgeführt hat. Ha, eitler Bube, du bist der Böse, der Wähler wird es dir heimzahlen. Die anderen aber, die vorgeblich Gelackmeierten, sind fein heraus. Sie dürfen sich als die Besseren feiern, die wahrhaft Wahrhaftigen. Wirklich? Oder haben vielleicht auch die Grünen einen Anteil am Scheitern von Tschamaika?

 

Wer – außer Christian Lindner – ist der Schuldige?

Zumindest mit der Reklame für sich selbst, mit der Schmerzgrenze, die sie angeblich schon überschritten aber nicht konkret fassbar gemacht haben, waren sie die Schlauesten. Es kamen einem die Tränen, wenn der gute alte Cem wieder mal die Augen aufriss und seine frohe Botschaft apodiktisch in die aufgerissenen Mäuler von Mikrofonen und Kameras donnerte. Und danach, am vergangenen Wochenende, als alles schon so schrecklich schiefgelaufen war, da wollte sogar ich vor Rührung weinen. Das hat die Katrin Göring-Eckardt mit ihrem Versprechen getan: Jeder Vogel, jeder Schmetterling und jede Biene solle wissen, dass die Grünen sich für sie einsetzen werden. Wenn das kein Einfall ist, dann weiß ich es auch nicht. Auf meinem Balkon summen, singen und piepsen die so Angesprochenen schon vor Freude und Dankbarkeit. Mal sehen, wo sie bei der nächsten Wahl ihr Kreuzchen machen.

Die lieben tier- und menschenfreundlichen Grünen trifft also keine Schuld an unserer Regierungslosigkeit. Aber wer dann, außer Christian Lindner und seiner Gang, ist es nun gewesen? Der Seehofer Horst vielleicht? Der Immer-Schuldige? Na klar, er hat es nur geschickter angestellt, erfahren wie er ist, und seine Obergrenze nun doch den Verhandelnden untergejubelt. Er ist der Taktikmeister der Republik. Auch daran trug das schwarz-gelb-grüne Vorhaben schwer. Dank des spektakulären FDP-Abgangs hat es jedoch keiner so recht gemerkt.

Merkel ist eine Kanzlerin auf Abruf

Und Angela Merkel? Was geht auf ihr Konto? Das Redenlassen, das Gewährenlassen, das Streitenlassen, das nächtelang Diskutierenlassen, und danach erst auftreten, dann erst in die Zügel greifen. Anders als in Brüssel hat es diesmal nicht geklappt. Sie war schon zu schwach und konnte den Wagen nicht mehr lenken. Gerade deshalb mussten die Mitverhandler aus der Union nach dieser Niederlage so verdächtig wild Beifall klatschen. Sie ist eine Kanzlerin auf Abruf.

Vor dieser geschrumpften Macht fürchtet sich nun die Sozialdemokratie, ziert sich, verweigert sich, hat Angst, in einem neuen Bund mit den Unionsparteien erdrückt zu werden. Aber nicht Merkel, die ja mit ihrer CDU auch selbst bei der Bundestagswahl mächtig Stimmen verlor, ist der Grund für die Misere der SPD. Auch nicht die vergangene, durchaus erfolgreich arbeitende Groko, sondern der Wandel der Zeiten – ein Thema für sich – und vor allem die SPD selbst.

Eine kindisch-trotzige, schmollende SPD

Sie war zu verzagt und hat das Flüchtlingsthema, das doch in erster Linie ihre Klientel beschäftigt und ängstigt, nicht aufgegriffen. Da hätte man punkten können, aber es galt ja, unzweifelhaft bei den Gutgesinnten zu sein. Und jetzt, da Kraft und Mut gefragt sind, sehen wir schon wieder eine bängliche, eine kindisch-trotzige, schmollende SPD. Warum aber so furchtsam zögernd? In der unvermutet neuen Situation müsste sie als Retterin auftreten, nicht der Bundeskanzlerin, die ohnehin in ihrer Endphase angelangt ist, vielmehr als Retterin der Nation. Das wäre was!

Nun aber wird es nicht mehr sein als jenes Halb-zog-man-sie-halb-sank-sie-hin. An alledem hat natürlich auch der frühere Vorsitzende seinen Anteil, Sigmar Gabriel, dieser begabte und intelligente politische Illusionist, der – statt seiner – einen weniger begabten Naiven in die absehbare Niederlage des September 2017 schickte. Immer noch unbegreiflich, wie die Delegierten des Bundesparteitags vom März dieses Jahres dem Illusionisten auf den Leim gingen, wie sie sich zur Selbstberauschung verführen ließen und den Naiven, als hieße er Honecker, mit hundert Prozent Zustimmung in sein und seiner Partei Unglück schickten.

Die Partei-Basis der Sozialdemokraten liebt das kleine Karo

Dort will der Arme nun trotz allem ausharren, will weiter an der Spitze der Partei residieren, allerdings auf keinen Fall Verantwortung für das Für-oder-Wider einer Großen Koalition übernehmen. Die Basis soll darüber befinden, wie es in Deutschland weitergeht. Ausgerechnet die SPD-Basis, die das kleine Karo liebt, die anno 1993 den hölzernen Rudolf Scharping für den Parteivorsitz und damit für die Kanzlerkandidatur von 1994 kürte, nur um den angeblich so machtbesessenen Gerhard Schröder zu verhindern! Ja, zum Donnerwetter, wozu braucht eine Partei denn führendes Personal, wenn diese Leute ihre Hände in Unschuld waschen und wenn am Ende die Nichtführenden und Wenigerwissenden die ganz großen Fragen beantworten, ohne diese Entscheidung in irgendeiner Weise und vor irgendwem verantworten zu müssen?

Ach, Berlin! Der SPD-Chef zahnlos und hilflos; eine grüne Spitzendame in den Garten Eden entrückt; die Kanzlerin im trüben Schein ihrer geschmälerten Macht: und Horst Seehofer ein sich windender bayerischer Laokoon. Denk ich an diese Riege in der Nacht, dann…