Lieber noch mal genießen, bald ist es mit der Romantik vorbei. Und niemand verklärt besser als die Engländer.

Stuttgart - Immer wieder schön: Engländer, die vor Freude ihr Bier verschütten und trotz der Niederlage gegen Kroatien noch im Stadion lauthals freundliche Lieder von Oasis singen. Das ist Liebe, wie besorgte Eltern, die weiterhin hoffen, der Fußball möge endlich nach Hause kommen – romantischer wird’s nicht mehr. Es war abzusehen, dass an so viel Sportsgeist auch die teilhaben wollen, die sich lediglich etwas Licht erhoffen. Der eben zurückgetretene britische Innenminister Boris Johnson zum Beispiel. Halb Mensch, halb Scherzartikel attestierte ausgerechnet er dem Team, der Nation große Ehre erwiesen zu haben.

 

Viele Engländer haben reflexartig mit dem Bierverschütten aufgehört und überlegt, was Boris Johnson denn bitte schön von dieser Thematik verstehe. Also, „Ehre“. Dass er sich mit Fußball schwertut, war den meisten bereits geläufig: Bei einem Wohltätigkeitsspiel verlor er mal das Gleichgewicht – im Straucheln und mit Schmackes bulldozerte er seinen Gegenspieler um, wie das höchstens ein Panzer sonntagmittags auf der Landesgartenschau hinbekommt. Panzer sind in England aber nur en vogue, wenn gegen Deutschland gespielt wird. Das hat heuer aber irgendwie nicht hingehauen.

Freude und Fatalismus

Schuld an der Halbfinalniederlage der Engländer, und das muss man in aller Härte sagen: die Kroaten beziehungsweise deren Nationalteam. So sieht das auch Gary Lineker, britischer Fußball-Royal und Ehrenmann. Er begleitete die WM als Kommentator für die BBC: „Fuck me, I’m crying“, schrie er ins Internet, als England erstmals bei einer WM ein Elfmeterschießen nicht um die Ohren flog. Und er mahnte „Make sure it’s coming home as well!“, als sein Sohn ihn auf Twitter darüber in Kenntnis setzte, dass er Papas altes Trikot aus dem Schrank geklaut habe, um es als Schlachtenbummler in Russland zu tragen. Mittlerweile ist klar: Der Fußball wird nicht wie gewünscht nach Hause kommen. Er wird sich zwischen Frankreich und Kroatien entscheiden müssen – es gibt Schlimmeres.

Was Engländer aber von allen Fußballnationen unterscheidet ist die kindliche Freude über einen Sieg und der selbstironische Fatalismus in der Niederlage. Das ist Größe. Ganz zu schweigen von Erfindungen wie Fußball, ulkige Torhüter, Paul Gascoigne, David Beckham, Spielerfrauen und der seit je offen zur Schau getragenen Liebe für Dorfclubs wie Manchester City. Ohne das Wembley-Tor hätten wir heute wahrscheinlich nicht mal den Video-Schiri.

Das Spiel um Platz drei, belächelt als die Schlacht um „die goldene Ananas“, platzt heuer fast vor Romantik. Im Ernst: Belgien gegen England, Brüssel gegen Brexit. Und schon wieder scheint es vielen egal, es geht ja nicht um den richtigen Pokal. So sad.