In sieben Fachartikeln charakterisiert das Team der Rosetta-Mission den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko zum ersten Mal wissenschaftlich. Die Forscher glauben, dass sie den ersten Bausteinen des Sonnensystems auf der Spur sind.

Stuttgart - Von der Mission zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko erhoffen sich Wissenschaftler einen Einblick in die Anfänge des Sonnensystems und vielleicht auch des Lebens. Denn das Material, aus dem Kometen bestehen, ist in den vergangenen Milliarden Jahren kaum verändert worden. Nun erscheint im Wissenschaftsmagazin „Science“ ein Schwung von sieben Fachartikeln zum Kometen. Haben die Forscher schon Antworten?

 

„Die Publikationen sind ein erster großer Schritt“, sagt Holger Sierks. „Wir fangen an zu verstehen, wie ein Komet funktioniert.“ Sierks arbeitet am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen, er leitet das Kamerateam der europäischen Kometensonde Rosetta und er ist als Autor an drei der sieben Fachartikel beteiligt. Tschurjomow-Gerassimenko, auch Tschuri genannt, ist ein überraschend unregelmäßiger Komet mit glatten Ebenen und 150 Meter hohen Steilhängen.

Und wie funktioniert er? Bekannt war bereits, dass Kometen Eis und gefrorene Gase enthalten, die explodieren, wenn sie in der Sonne erwärmt werden. Sie reißen dann Staub und Steine mit, hinterlassen auf der Kometenoberfläche womöglich einen Krater und bilden mit der Zeit einen leuchtenden Schweif. Bei Tschurjumow-Gerassimenko haben die Forscher nun beobachtet, dass die Fontänen aus Staub und Gas nicht von den Ebenen ausgehen, sondern von den Steilhängen. Das liegt daran, dass ein Teil des Staubs wieder auf die Oberfläche zurückrieselt und auf den Ebenen eine Isolierschicht bildet, die den Kometen dämmt. Das Material darunter wird von der Sonne kaum erwärmt; die Temperatur unter der Staubschicht ist bis zu 50 Grad niedriger als über der Schicht. Derzeit bekommt der kleinere Kopf des Kometen die meiste Sonne ab; die Forscher sprechen von Sommer. Dort ist der Roboter Philae im November gelandet und steckt nun mit entladenen Akkus in einer dunklen Felsspalte, in der man ihn noch nicht entdeckt hat.

Der Komet hat eine Gänsehaut

Ab Mai wird das dicke Hinterteil des Kometen stärker erwärmt und verstärkt Fontänen ins All schießen. Das Maximum wird um den 13. August erreicht, wenn der Komet den sonnennächsten Punkt seiner Bahn passiert. Bis dahin wird er seine Aktivität verhundertfachen, so dass Rosettas Piloten aufpassen müssen, dass ihre Raumsonde nicht von einer Fontäne getroffen wird. Insgesamt dürfte der vier Kilometer lange Brocken zwei bis drei Meter seiner Oberfläche verlieren – aber nicht überall gleichermaßen. Hier und da werden es 10 oder 20 Meter sein, sagt Sierks voraus. Mit seinen Kollegen will er untersuchen, was die aktiven Regionen von den ruhigen unterscheidet.

Und woraus besteht der Komet, was kann man über das Ursprungsmaterial des Sonnensystems sagen? Er ist fluffig und so leicht, dass er in Wasser schwimmen würde. In seinem Inneren dürfte es viele Hohlräume geben – das Material ist nicht dicht zusammengepresst. Bisher hat man wenig Wassereis entdeckt, die Forscher beschreiben den Kometen als dehydriert. Aber ob er ursprünglich aus zwei Teilen bestand, die zusammengestoßen sind und nun miteinander um die Sonne kreisen, lässt sich noch nicht sagen. Holger Sierks interessiert sich besonders für ein Phänomen, das er ganz umgangssprachlich als „Gänsehaut“ bezeichnet: kleine Pickel auf der Kometenoberfläche, die jeweils einige Meter groß sind. Hier blicke man möglicherweise tief in die Geschichte des Sonnensystems, sagt er. Denn es könnte sich um Klumpen handeln, aus denen sich die ersten Objekte des Sonnensystems zusammensetzten.

Der Landeroboter Philae könnte noch aufwachen

Über die Grundbausteine wüssten die Forscher gerne mehr. Sie können zwar in Computersimulationen zeigen, wie aus einer großen Scheibe Staub und Gas das Sonnensystem entstanden sein dürfte: Die Teilchen verklumpten sich und größere Brocken wuchsen, indem sie weiteren Staub an sich banden. Doch nun könnte es sein, dass die Forscher solche Brocken fotografiert haben. Holger Sierks möchte die Knubbel der Kometen-Gänsehaut genauer untersuchen. Vielleicht hatten sie bei zwei bis drei Metern eine physikalische Grenze erreicht, ab der sie nicht weiter wachsen konnten, und sich stattdessen zusammengelagert und dabei den Kometen gebildet.

Es ist das erste Mal, dass Forscher die Chance haben, sich einen Kometen aus der Nähe anzuschauen. Anfang Februar werden die Piloten der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) die Sonde Rosetta in nur sechs Kilometern Höhe über den Kometen fliegen, bevor sie wieder in einen sichere Umlaufbahn einschwenken werden.

Und natürlich hoffen die Forscher darauf, dass sich der Roboter Philae noch einmal meldet. Im Mai oder Juni könnte Sonnenlicht in seine Felsspalte fallen, stellt Thomas Reiter von der Esa in Aussicht. Wenn die Solarzellen des Roboters genug Energie produzieren, um seine Heizung zu betreiben und die Akkus aufzuladen, könnte er zum Mutterschiff Rosetta Kontakt aufnehmen. Dann würden die Forscher vor allem versuchen, den Kometen noch einmal anzubohren und Bodenproben im kleinen Labor an Bord zu analysieren. Etwa zwei Tage hatte Philae nach seiner Landung Messungen vorgenommen und Daten zu Rosetta gefunkt. Sie werden derzeit noch ausgewertet.