Wahlen allein machen keine Demokratie, es ist ein Kampf um die Köpfe der Menschen. Das schreibt unser Kommentator Knut Krohn über die schwere Staatskrise in Ägypten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Was geschieht in Ägypten? Erlebt die Welt den finalen Zusammenbruch eines Staates, oder sind es die Geburtswehen einer neuen ägyptischen Demokratie? Tatsache ist: das politische Chaos in Kairo ist im Moment kaum zu durchschauen, die Ruhe ist trügerisch, die Machtverhältnisse sind unklar, selbst ein blutiger Bürgerkrieg scheint möglich.

 

Der Westen ist angesichts dieses Szenarios nicht nur äußerst beunruhigt, sondern auch erstaunt, vielleicht sogar enttäuscht. Aus dem Arabischen Frühling sei inzwischen ein Arabischer Winter geworden, lautet die oft vorwurfsvoll vorgetragene Klage. Doch was haben wir erwartet? Dass nach dem Sturz des Diktators praktisch über Nacht eine Demokratie entsteht, die den Beginn einer neuen Zeitrechnung markiert? Im ersten Freudentaumel sind wahrscheinlich auch viele Ägypter dieser Hoffnung erlegen. Vergessen haben dabei aber alle: es gibt keine Stunde null. Es gibt immer eine Vorgeschichte an Staatlichkeit, an sozialen Strukturen, an internationalen Verflechtungen. Dass sich gerade der Westen von den realen gesellschaftlichen Verhältnissen in Ägypten ein falsches Bild gemacht hatte, zeigte sich spätestens nach den ersten freien Wahlen. Nicht die junge, revoltierende Internetgeneration trug den überlegenen Sieg davon, sondern die gut organisierten Muslimbrüder.

Ägypten steht nicht allein

Ägypten steht allerdings nicht allein. Die Hoffnungen auf einen reibungslosen Übergang in Richtung Demokratie westlicher Prägung haben sich in keinem Land des Arabischen Frühlings erfüllt. Schmerzlich bewusst wird dies vor allem in Libyen, wo die Rebellen erst nach einer massiven Intervention der Nato den Sieg davontrugen. Die Bemühungen, nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis, eine neue Zentralregierung aufzubauen, waren zum Scheitern verurteilt. Der ölreiche Wüstenstaat bestand immer aus lose verknüpften kleineren Herrschaftseinheiten, deren eiserne Klammer über Jahrzehnte die Diktatur war. Nach dem Fall des verhassten Despoten sollten die regionalen Herrscher auf ihre dominierende Stellung verzichten und an einen von außen aufgesetzten Apparat übergeben. Die lokalen Führer in Libyen dachten natürlich nicht im Traum daran, ihre neu erlangte Macht für eine so abstrakte Idee wie Demokratie abzugeben. Enttäuschungen sind programmiert – bei den internationalen Akteuren ebenso wie bei der Bevölkerung vor Ort.

Es genügt nicht, einen Staat nach demokratischen Normvorstellungen aufzubauen und politische Mitwirkungsmöglichkeit zu bieten. Selbst Wahlen, wie sie in Ägypten erfolgreich durchgeführt wurden, reichen nicht aus. Alles bleibt eine leere Fassade, wenn das Volk die neuen Strukturen und Institutionen nicht akzeptiert. Demokratie bedeutet in diesem Sinne vor allem ein Kampf um die Köpfe der Menschen. Diesen Kampf hat Ägyptens Präsident Mohammed Mursi verloren. Er hat versucht, mit autoritären Mitteln das Land zu regieren – und wurde dabei seinem despotischen Vorgänger Hosni Mubarak immer ähnlicher.

Mursi ist kläglich gescheitert

Mursi ist aber nicht nur bei dem Versuch kläglich gescheitert, seine Macht abzusichern. Weitaus schwerer wiegt, dass es ihm nicht gelungen ist, die Idee einer islamisch geprägten rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung weiterzuentwickeln. Ihm, einem Mann der Religion, der lange Zeit in den USA gelebt hat, wurde diese Aufgabe zugetraut. Er sollte eine Antwort auf die Frage finden, ob der Islam mit der Demokratie in der harten Realität vereinbar ist. Das ist die wirklich große Herausforderung vor der die muslimische Welt nach den erfolgreichen Revolutionen steht. Der Arabische Frühling hat einen Prozess des demokratischen Wandels eingeleitet. Der wird lange Zeit in Anspruch nehmen, und es werden manche Irrwege korrigiert werden müssen – wie nun in Ägypten.