Regierende und Militärs tun sich schwer mit einer ehrlichen Bilanz. Doch der Afghanistan-Einsatz lässt sich nicht schönreden, urteilt StZ-Autor Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Es ist eine bittere Erkenntnis, wenn ein seit elf Jahren währender Kampf voraussichtlich fruchtlos bleiben wird. Und es schmerzt zu sehen, dass 3000 Angehörige der internationalen Schutztruppe für eine zweifelhafte politische Perspektive gestorben sind. Dennoch ist es unverständlich, dass sich die Regierenden und die Militärs mit einer ehrlichen Bilanz des Afghanistaneinsatzes so schwer tun. Vielfach neigen sie dazu, die Fortschritte schön- und die Risiken kleinzureden. Das Prestige zählt mehr als Redlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit und den Soldaten.

 

Aktuell zeigen die hasserfüllten Reaktionen auf das Mohammed-Video, wie brüchig das Fundament ist, das die Verbündeten am Hindukusch errichtet haben. In Pakistan zetteln Extremisten Unruhen an, und in Afghanistan machen sich Selbstmordattentäter auf den Weg. Eine immer größere Gefahr sind die Binnentäter: Afghanen in Uniform haben 2012 bereits mehr als 50 Isaf-Soldaten getötet. Hastig hat die Nato daher das Partnering-Konzept mit den gemeinsamen Patrouillen gebremst. Eine enge Kooperation gibt es nur noch auf höheren Ebenen. Angst und Misstrauen sind am Höhepunkt angelangt.

Abweichung vom Abzugsplan nicht mehr möglich

Obwohl der ganze Prozess – die geordnete Übergabe von Verantwortung – gefährdet ist, treibt das Bündnis den bis Ende 2014 geplanten Abzug voran. So keimt der Verdacht, dass der schöne Schein so lange wie möglich erhalten werden soll. Wenn später das Chaos zurückkehrt, stehen halt die Afghanen als die Schuldigen da.

Ehrlicher wäre es einzugestehen, dass man länger bleiben müsste – nicht nur mit ein paar Dutzend Militärberatern. Etliche Tausend Soldaten im Einsatz zu belassen, können sich die Regierungen in Berlin und anderswo aber ohne Gesichtsverlust nicht leisten. Aus Angst vor dem Wähler haben sie sich auf ein Abzugsdatum festgelegt – davon will niemand mehr abweichen. Zudem schrumpfen überall die Militäretats. Angesichts riesiger Staatsschulden werden die Kosten des Einsatzes immer lästiger; nur sagen mag dies niemand so offen.

Nun kommt Afghanistan durchaus voran: Das Gros der Bevölkerung will keinen Krieg mehr; vielfach entstehen Strukturen einer Bürgergesellschaft. Das Wirtschaftswachstum beträgt acht Prozent, und acht Millionen Kinder – zu einem Drittel Mädchen – gehen zur Schule. Es gibt Strom, Wasser und eine Gesundheitsversorgung. Das 2001 noch mittelalterliche Afghanistan ist auf dem Weg in die Gegenwart.

80 Prozent der Angriffe fänden in Gebieten statt, in denen 20 Prozent der Afghanen leben, sagt Nato-Generalsekretär Rasmussen – nach dem Motto: Große Teile des Landes haben wir im Griff. Dies wäre ein Trugschluss: In Afghanistan hat es die Isaf nicht mit einer geschlossenen Front namens Taliban zu tun, sondern mit einer wilden Mixtur aus Terroristen, Warlords, religiösen Eiferern und schlichten Verbrechern. Ethnische Gruppierungen agieren ebenso gewaltsam wie Aufständische, die aus Nachbarländern gesteuert werden.

Ein Guerillakampf ist nicht zu gewinnen

All die Gruppierungen werden die friedliche Bevölkerung von 2015 an wieder in Angst versetzen und den Sicherheitskräften einen Guerillakampf liefern, den diese nicht gewinnen können. Zum Beispiel mangelt es den Afghanen an Hochtechnologiewaffen. So werden sie weder eine sich selbst tragende Wirtschaft noch die Einhaltung der Menschenrechte garantieren können. In manchen Provinzen wird Stabilität herrschen, andernorts Gesetzlosigkeit.

Wenn diese Realität nicht von jedem erkannt wird, hilft die Fiktion auch nicht weiter. Am Donnerstag startet Til Schweigers neuer Film „Schutzengel“, womit der Bundeswehreinsatz die Kinos erreicht. Schweiger spielt einen Kriegsveteranen. Der Verteidigungsminister freut sich: Der Film sei Werbung für die Truppe – Wunschdenken. Die tatsächliche Lage am Hindukusch lässt bei genauem Hinsehen eher verzweifeln.