Frankreichs Präsident François Hollande kündigt einen Kurswechsel an. Er will die Unternehmen entlasten und mutet seinem Volk dafür Opfer zu. Er tritt die Flucht nach vorn an, kommentiert der Pariser StZ-Korrespondent Axel Veiel.

Paris - Vorbei die Zeiten, da sich Frankreichs Staatschef seinen Landsleuten als ganz gewöhnlicher Bürger empfohlen hat. Das Land, das in einer außergewöhnlichen Krise steckt, braucht einen Präsidenten, der zu Außergewöhnlichem in der Lage ist. François Hollande hat das verstanden und hat 18 Monate nach dem Einzug in den Elysée-Palast danach gehandelt. Der Sozialist ist auf einen sozialliberalen Kurs französischer Prägung eingeschwenkt. Hollande hat einer unternehmerfreundlichen Politik das Wort geredet. Er hat eine Verringerung der Lohnnebenkosten um 30 Milliarden Euro angekündigt, eine Ausdünnung des Vorschriftendickichts in der Wirtschaft und Einsparungen im Haushalt von 50 Milliarden Euro.

 

Er hat die Konsequenzen daraus gezogen, dass er sein wichtigstes Versprechen nicht einlösen konnte: die bis Ende 2013 verheißene Wende auf dem Arbeitsmarkt. Das sozialistische Hausrezept, der Arbeitslosigkeit mit staatlich subventionierten Jobs zu begegnen, hatte sich in Zeiten leerer Staatskassen als gänzlich untauglich erwiesen. Wenn jemand dauerhafte Arbeitsplätze schaffen kann, dann sind das Frankreichs Unternehmen, die aber aufgrund rekordverdächtig hoher Steuer- und Abgabenlasten sowie einer jeglichen Initiativgeist erstickenden Regulierungswut dazu bisher nicht in der Lage waren. Das ist Hollandes neues Kredo.

Ein gigantischer Schritt

Es scheint ein naheliegender, ja selbstverständlicher Schritt zu sein. Doch für einen französischen Präsidenten, einen sozialistischen zumal, ist es ein gigantischer. In einem Land, in dem das Wort Marktwirtschaft verpönt ist und in dem Unternehmer unter dem Generalverdacht ausbeuterischer Neigungen stehen, ist das politische Bekenntnis zu ihnen revolutionär. Wenn Hollande es abgelegt hat, dann deshalb, weil er nichts mehr zu verlieren hat.

Wie ein Normalbürger hat er sich zu schmerzlicher Veränderung erst durchgerungen, als der Leidensdruck unerträglich war. Nicht nur die Wirtschaft, auch er selbst steckte zuletzt in der Bredouille. Seit Monaten ist er der unbeliebteste Präsident der Fünften Republik, zudem ist ihm sein Privatleben entglitten. Die Enthüllung einer Liebesaffäre mit der Schauspielerin Julie Gayet und der Krankenhausaufenthalt der hintergangenen Lebensgefährtin   hatten dem politisch-wirtschaftlichen Desaster ein privates folgen lassen.

Opfer werden unvermeidlich sein

Mit dem im Elysée-Palast ausgerufenen Kurswechsel hat Hollande einen Befreiungsschlag gelandet, die Flucht nach vorne angetreten. Wenn den Ankündigungen nun auch noch Taten folgen, profitieren nicht nur der Präsident und seine Landsleute davon. Denn was Hollande in dieser Stunde der Wahrheit über Europa und den Rest der Welt gesagt hat, ist nicht minder richtig. Nur ein wirtschaftlich starkes Frankreich findet international Gehör, kann gemeinsam mit Deutschland Europa neue Wege weisen. Eine als reformunfähig bemitleidete französische Nation, ein als Schürzenjäger belächelter Präsident, sind dazu nicht in der Lage.

Die Kluft, die sich zwischen Hollandes europapolitischen Ambitionen und der Wirklichkeit aufgetan hat, legt hiervon eindrücklich Zeugnis ab. Bleibt zu hoffen, dass Frankreichs in der Vergangenheit durch heftigen Zickzackkurs Verwirrung stiftender Staatschef nicht einknickt und dass seine Parteifreunde im Parlament, Frankreichs Linke sowie die Bevölkerung die Wende mitmachen. Denn auch wenn sich Hollande gehütet hat, von schmerzlichen Opfern zu sprechen – sie sind unvermeidlich. Die Zeiten, da Frankreich ein Drittel des im Lande Erwirtschafteten in Sozialleistungen stecken konnte, sind vorbei. Auch in Frankreich dürfte der makroökonomische Fortschritt mit sozialem Rückschritt erkauft werden. Hollande hat mit dem Mut der Verzweiflung eine Kurswende eingeleitet. Am Ziel ist er noch lange nicht.