Vor drei Monaten sind in der Ukraine die Menschen auf die Straße gegangen, um dafür zu kämpfen, dass sich ihr Land stärker dem Westen zuwendet. Jetzt hat sich ein Teil in Richtung Osten verabschiedet. Für den Westen schwer vorstellbar, schreibt Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Stuttgart - Es ist schon eine ganz besondere Tragik. Hunderttausende sind vor gerade einmal drei Monaten in Kiew auf die Straße gegangen, um dafür zu kämpfen, dass sich ihr Land stärker dem Westen zuwendet. Sie haben damit eine Entwicklung in Gang gesetzt, zu deren vorläufigem Höhepunkt sich nun ein ansehnlicher Landesteil der Ukraine in Richtung Osten verabschiedet. Die internationale Staatengemeinschaft mag in Wehklagen über das Ergebnis des Krim-Referendums ausbrechen und den Abspaltungsprozess für ungültig erklären. Es wird nichts nützen.

 

Es gibt in der Tat viel zu kritisieren an dem Schnellschussreferendum und erst recht an dessen Begleitumständen. Es widerspricht den Regeln einer fairen Abstimmung, dass die Krim-Bewohner allein durch die Art der Fragestellung nicht einmal die Chance hatten, für den status quo zu votieren. Es ist unerträglich, wie sich russische Soldaten in den vergangenen Tagen auf fremdem Hoheitsgebiet aufgeführt haben, und die pseudodemokratischen Abstimmungen im Regionalparlament von Simferopol sind schlicht ein Hohn. Allerdings: auch unter rechtsstaatlicheren Umständen hätte eine Mehrheit auf der Krim für einen Anschluss nach Osten votiert.

Schwer zu glauben: Die Krim tendiert zu Russland

Es ist im Westen nur schwer zu fassen, wie jemand freiwillig zu einem Land gehören will, in dem politisch Andersdenkende bedroht werden und in dem die Meinungsfreiheit nur sehr eingeschränkt gilt. Doch eben dieser Wunsch ist vorhanden, weshalb sich die ganz praktische Frage stellt, in wie weit dieser zu respektieren ist. Wer die Proteste in Kiew unterstützt, bei denen das Volk den gewählten Präsidenten gestürzt hat, der kann sich nur schwer gegen den Willen des Volkes auf der Krim stellen.

Darum wäre es wünschenswert, dass die Weltgemeinschaft nun nicht all zu viel Energie darauf verwendet, die Vorgänge auf der Krim zu verteufeln – und stattdessen den Blick nach vorne richtet. Das Tempo der Geschichte ist atemberaubend, und auch wenn das offizielle Endergebnis des Referendums heute verkündet ist, wird die Entwicklung noch lange nicht vorbei sein. Die nächsten Konfliktfelder sind deutlich zu sehen. Da ist zum einen der ganz praktische Übertritt der Krim zur russischen Föderation. So gut wie jedes Detail ist dabei noch unklar. Und da sind zum anderen zahlreiche Regionen – nicht nur in der Ukraine –, in denen sich Russen bedroht fühlen und Moskau um Hilfe rufen könnten. Die russische Angst, in Kiew seien vom Westen finanzierte Faschisten am Werk, muss man sicher nicht teilen. Aber man muss sie ernst nehmen. Genau so wie man die Ängste der ehemaligen Ostblockstaaten ernst nehmen muss, die heute, eingebettet in EU und Nato, kaum etwas zu befürchten haben, dies aus dem Blickwinkel der eigenen Geschichte heraus aber anders sehen.

Die Zukunft muss geplant werden

Es ist mehr als an der Zeit, dass die wichtigsten Akteure in dieser Angelegenheit zur Besinnung kommen, dass sie nicht länger versuchen, schnelle Fakten zu schaffen, sondern einen gemeinsamen Fahrplan für die nahe Zukunft erstellen. Es ist ein Fehler, das für Juni geplante G8-Treffen in Sotschi in Frage zu stellen. Noch sinnvoller wäre es, sofort zusammen zu kommen. Noch vor den Wahlen in der Ukraine jedenfalls, bei denen die russlandfreundlichen Parteien nach dem Weggang der Krim absehbar an Zuspruch verlieren werden. Um Schlimmeres zu verhindern geht es nicht anders, als dass jeder Beteiligte schmerzhafte Zugeständnisse machen muss.

Da stünde dann das russische Versprechen, das Selbstbestimmungsrecht auch der Staaten zu respektieren, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden, sich nicht länger als Schutzmacht außerhalb der eigenen Staatsgrenzen zu gebärden und die Übergangsregierung in Kiew zu akzeptieren. Im Gegenzug stünde die Zusage Kiews und der restlichen Welt, das Ergebnis des Krim-Referendums zu tolerieren.