Endlich wieder Veranstaltungen. Konzerte, Comedy, Theater, Magie – nicht nur auf den Bühnen von „Kultur im Freien“ kann man dem Alltag endlich wieder für ein paar Stunden entfliehen. Aber viele Menschen haben das Genießen einfach verlernt. Und schuld ist die moderne Technik.

Kreis Böblingen - Sozialforscher vermuten, dass uns nach dem Ende der Corona-Pandemie ein weiteres Mal Goldene Zwanziger bevorstehen. Die Hypothese dahinter klingt plausibel: Nach all den Entbehrungen, die Lockdowns und Verordnungen mit sich gebracht haben, werden die Menschen den Genuss viel mehr in den Mittelpunkt stellen. Was die Wissenschaftler aber offenbar nicht bedacht haben: Im Gegensatz zu den 1920ern gibt es jetzt ein kleines Gerät, das sich Smartphone nennt. Und dank dem haben die Leute das Genießen anscheinend komplett verlernt.

 

Fotografieren, filmen, posten – fast schon zwanghaft

Das ist gerade jetzt, da nach Monaten endlich wieder Veranstaltungen möglich sind, klar ersichtlich. „Kultur im Freien“ ist nur ein Beispiel. Da geben „Hearts and Bones“ ein herrlich entspanntes Sommerabendkonzert in Holzgerlingen, aber statt sich einfach zu berieseln lassen – statt zu genießen –, zücken viele Zuschauer das Handy. Um zu fotografieren. Zu filmen. Zu posten. Fast schon zwanghaft. Dabei können der kleine Screen und das Mini-Mikrophon die Live-Atmosphäre sowieso niemals einfangen. Für ein minderwertiges Video, das man sich (sind wir doch mal ehrlich) eh nie wieder anschaut, den Genuss verpassen – unverständlich. Eine Frau weiß sogar so wenig mit der Situation anzufangen, dass sie noch einmal ihr Testarmband mit der Doctor-Box-App abscannt oder ständig in Foren schreibt.

Beleuchtete Gebäude sind plötzlich interessanter als das Konzert

Eine ähnliche Situation vor einigen Wochen beim Auftakt von „Kultur im Freien“ in Herrenberg. Fetzige Rockmusik von James Geier und Band, malerische Kulisse in der Altstadt, wie gemacht fürs Auskosten. Doch als in der Dämmerung die Beleuchtung an den Fachwerkhäusern anspringt, ist die Musik auf der Bühne nur noch Nebensache. Smartphone raus und knipsen. Als ob man noch nie illuminierte Gebäude gesehen hätte. Als ob diese nach dem Konzert nicht auch noch da wären.

Wohlgemerkt: Zu beobachten ist das nicht bei der Jugend, über die in diesem Zusammenhang so gern geschimpft wird. Ende 40, Anfang 50, Mitte 60 – gerade diese Altersgruppen scheinen das Suchtverhalten verinnerlicht zu haben. Dabei wäre es doch so einfach: Für zwei Stunden bleibt das Smartphone einfach in der Tasche. Oder noch besser im Auto. Der Erinnerungsfilm im Kopf ist eh viel schöner als der auf dem digitalen Bildschirm.