Ex-Kanzler Gerhard Schröder hofiert den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sankt Petersburg – ein Affront gegen die deutschen Geiseln in der Ukraine und die Bundesregierung, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Wie viel politischer Anstand, wie viel menschliches und diplomatisches Feingefühl darf von einem ehemaligen Bundeskanzler erwartet werden? Diese Frage würde man Gerhard Schröder gerne stellen. Durch sein Handeln macht er deutlich, dass er sie auf ganz eigene Art beantworten würde.

 

Er findet nichts dabei, mitten in der Ukraine-Krise Wladimir Putin zum Geburtstagsempfang nach Sankt Petersburg einzuladen, den russischen Präsidenten freudestrahlend zu begrüßen und sich dann Arm in Arm fotografieren zu lassen. Wladimir Putin? Das ist doch sein Freund, sein guter Freund. Und bewährt sich hier nicht die Weisheit, dass ein wahrer Freund gerade dann zu Besuch kommt, wenn sich die Welt abwendet?

Gerhard Schröder sind die politischen Maßstäbe schon seit einiger Zeit verrutscht. Bereits sein verständnisinniges Reden über Putins De-facto-Annexion der Krim offenbarte, dass Demokratie, Gewaltfreiheit und das internationale Recht auf seiner persönlichen Werteskala tief nach unten gerutscht sind. Die Bilder aus Sankt Petersburg bestärken diesen Eindruck.

Schröder verstärkt die Ängste der Ost-Europäer

Sich Putin in einem Moment mit Tigergrinsen an die Brust zu werfen, in dem deutsche Soldaten in der Ostukraine von Männern in Geiselhaft gehalten werden, die wohl kaum ohne russische Rückendeckung die Macht an sich gerissen haben, ist politisch geschmacklos. Es ist ein Affront gegen die Soldaten und ihre Familien, es ist ein Affront gegen die deutsche Regierung – in der mit Frank-Walter Steinmeier ein Sozialdemokrat wie Schröder als Außenminister agiert.

Es ist auch ein Affront gegen die anderen Europäer, speziell die Polen und anderen Osteuropäer in der EU. Sie verfolgen die deutsche Außenpolitik angesichts der deutsch-russischen Historie nie ganz ohne Argwohn – und dürfen sich durch Schröders Umarmungsgeste darin bestärkt fühlen. Die EU und die USA haben fast zur selben Stunde, in der Schröder und Putin auf ihr gemeinsames Wohl anstießen, Sanktionen gegen Menschen in der unmittelbaren Umgebung Putins verhängt – ein Versuch, den russischen Präsidenten anzustiften, Schritte der Deeskalation in diesem brandgefährlichen Konflikt zu gehen.

„Ein Freund ist gleichsam ein anderes Ich“

Es spräche nichts dagegen, wenn Schröder seine freundschaftlichen Beziehungen hinter den Kulissen nutzte, um Putin in diesem Sinne zu überzeugen. Noch wartet die Welt auf ein klares Wort aus Moskau, dass die russischen Regierung die sofortige und bedingungslose Freilassung der OSZE-Geiseln fordert. Demonstrative Verbrüderungen mit Putin verbieten sich in einem solchen Moment – gerade für ehemalige Kanzler.

Für den römischen Politiker und Philosophen Marcus Tullius Cicero war „ein Freund gleichsam ein anderes Ich“. Für Schröder ist zu hoffen, dass seine Freundschaft zu Putin nicht so weit geht.