Reiner Hoffmann ist mit 93 Prozent zum neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt worden. Diesen Vorschusslorbeeren gerecht zu werden, dürfte schwierig sein, meint der StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Vor einem Jahrzehnt waren sie schon totgesagt, heute sind die Gewerkschaften wieder eine anerkannte Gestaltungsmacht. Dies ist offenkundig nicht zum Schaden Deutschlands, denn die Wirtschaft steht nicht zuletzt dank einer oft kooperativen Gewerkschaftspolitik gut da. Der Erfolg hat viele Väter, auch auf Seiten der Arbeitnehmerorganisationen. Der abgelöste DGB-Chef Michael Sommer war einer von ihnen, der frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber ein anderer. Doch beide sind Männer von gestern. So fragt sich, ob die Arbeitnehmerführer von heute auch Rezepte für die künftigen Herausforderungen finden werden.

 

Der neue DGB-Chef Reiner Hoffmann wurde beim Kongress in Berlin zwar mit reichlich Vorschusslorbeeren in Form eines 93-Prozent-Wahlergebnisses versehen, diese zu rechtfertigen dürfte ihm aber nicht so leichtfallen. Hoffmann kann zwar auf einigen Fortschritten aufbauen, die der DGB zuletzt erreicht hat: den gesetzlichen Mindestlohn und eine Stärkung der Tarifautonomie zum Beispiel, aber auch die Eindämmung von Leiharbeit und missbräuchlich eingesetzter Werkverträge.

Grundlegende Probleme bleiben

Gleichwohl sind die Kämpfe ums Detail in der großen Koalition noch nicht ausgestanden, und die von der IG Metall angestoßene Rente mit 63 ist ohnehin hochumstritten. Auch die grundlegenden Probleme der Arbeitswelt bleiben bestehen. Nach wie vor gibt es einen riesigen Niedriglohnsektor, der eine Altersarmut großen Umfangs erwarten lässt. Frauen werden in der Arbeitswelt schlechter behandelt als Männer. Und dank einer günstigen Besteuerung von Kapitalerträgen wachsen die Vermögen deutlich schneller als die Arbeitnehmereinkommen. Da helfen die ordentlichen Tarifabschlüsse der jüngeren Vergangenheit wenig – die soziale Kluft wächst.

So gesehen hat der DGB seit der Bundestagswahl allenfalls Etappenziele erreicht. Hinzu kommen neue Probleme, für die es bis jetzt zwar in einigen Betrieben, aber keinesfalls flächendeckend gute Lösungen gibt. Dazu gehört eine flexiblere Arbeitszeitpolitik, die den Unternehmen und den Beschäftigten hilft – und zwar über ein ganzes Berufsleben hinweg betrachtet. Wie aktuelle Umfragen zeigen, wollen die Arbeitnehmer selbstbestimmter mit ihrer Zeit umgehen, indem sie zum Beispiel Auszeiten für die persönliche Weiterentwicklung oder zur Pflege Angehöriger nehmen.

Der DGB braucht seine Eigenständigkeit

Mehr Flexibilität ist schon deshalb nötig, weil die demografische Entwicklung der Wirtschaft noch große Sorgen bereiten wird. Also müssen Menschen freiwillig über das bisherige Renteneintrittsalter hinaus arbeiten dürfen – andere eben weniger. Das hohe Produktivitätsniveau erlaubt unkonventionelle Modelle.

Nicht zuletzt erfordert die Digitalisierung der Arbeitswelt ein neues Gewerkschaftsdenken, und auch die grenzübergreifende Kooperation muss zügig wachsen. Dafür sind unverbrauchte Köpfe und Europakenner wie Reiner Hoffmann nötig. Der DGB-Chef ist kein rückwärtsgewandter Ideologe, sondern dürfte mit allen Parteien konstruktiv zusammenarbeiten. Den von Sommer eingeschlagenen Weg eines eigenständigen Gewerkschaftsbundes, der sich vor keinen Karren spannen lässt, wird er forcieren. Dies mag schmerzhaft sein für die SPD, die ihre Basis im Arbeitnehmerlager hat, bringt dem DGB aber mehr Handlungsfreiheit und Einfluss.

Hoffmann ist ein Mann des Konsenses, was die Konflikte im Gewerkschaftsbund bremsen sollte. Wer den Sommer-Nachfolger als Leichtgewicht einstuft, könnte sich täuschen. Fraglich ist jedoch, ob IG Metall, Verdi oder die Chemiegewerkschaft ihren obersten Lobbyisten als führende politische Stimme anerkennen oder weiter ihr eigenes politisches Spiel betreiben. Konkurrenz mag das Geschäft beleben, doch haben die Gewerkschaften nur dann politisches Gewicht, wenn sie sich einig zeigen.