Die Staatsanwaltschaft hat offensichtlich nichts gefunden, was den Kunsthändler-Sohn Cornelius Gurlitt belasten würde. Er erhält seine Bilder zurück – und bezahlt dennoch, so der Kommentar des StZ-Redakteurs Stefan Geiger.

Stuttgart - Die Risiken für rechtstreue Bürger steigen. Cornelius Gurlitt hat am 22. September 2010 bei einer Reise aus der Schweiz so viel Geld bei sich, wie er darf, ohne die Summe deklarieren zu müssen. Diese Tatsache genügt dem Zoll und der Staatsanwaltschaft, einen betagten Mann mit einem Ermittlungsverfahren zu überziehen, das heute noch andauert. Im Februar 2012 wird Gurlitts Wohnung durchsucht; die Fahnder beschlagnahmen 1280 Kunstwerke. Auf welcher Rechtsgrundlage ist unklar. Die Wegnahme aller Bilder ist offenkundig schon deshalb rechtswidrig, weil sie völlig maßlos ist. In den Jahren danach suchen die Ermittler verzweifelt nach irgend einem strafrechtlichen Vorwurf, mit dem sie ihr Handeln rechtfertigen könnten. Eine Anklage gibt es bisher nicht. Es wird sie voraussichtlich auch nicht mehr geben; allenfalls die Einstellung des Mammut-Verfahrens gegen eine Geldauflage als Feigenblatt.

 

Der Fall Gurlitt ist ein rechtsstaatlicher Skandal, der durch die so späte Freigabe der Bilder nicht kleiner wird. Cornelius Gurlitts Vater ist auch durch den Handel mit NS-Raubkunst reich geworden. Sein Sohn hat dieses Erbe übernommen, in der Vergangenheit ohne die angemessenen Konsequenzen zu ziehen. Das war moralisch angreifbar. Die Moral aber ist das eine, das Recht das andere. Der Rechtsstaat schützt nicht nur die Moralisten. Wenn Vertreter anderer Berufsstände so unverfroren in die Eigentums-, auch die Freiheitsrechte eines Bürger eingegriffen hätten wie die Staatsanwaltschaft Augsburg bei Gurlitt, es hätte Konsequenzen gehabt.

Gurlitt wurde massiv unter Druck gesetzt

Juristen können durchaus zupackend sein, wenn es um die Verteidigung von Bürgerrechten geht. Manager haben das zu spüren bekommen. Politiker wären von sich aus zurückgetreten. Die eigene Klientel aber wissen Juristen zu schützen. Die zuständigen Staatsanwälte müssen noch nicht einmal ein Disziplinarverfahren fürchten.

Durch das Ermittlungsverfahren wurde Gurlitt massiv unter Druck gesetzt. Hinzu kommt die ihm auferlegte Betreuung, seine faktische Teilentmündigung also. Der alte Mann ist gar nicht mehr in der Lage, frei und eigenverantwortlich zu entscheiden. Es ist die Grundlage, auf der er eine „freiwillige Vereinbarung“ mit dem Staat getroffen hat. Die andere Seite der Vereinbarung aber ist, dass Gurlitt einer Lösung zugestimmt hat, die nicht nur vernünftig und zielführend, sondern vor allem moralisch angemessen ist: Die Herkunft der Bilder wird sorgfältig geprüft, was Raubkunst ist, wird den Erben der Opfer des Nationalsozialismus zurückgegeben.

Der Vertrag ist gut, seine Umsetzung schwierig

Der Staat, der es Jahrzehnte lang versäumt hat, eine saubere gesetzliche Lösung für die Rückgabe der Raubkunst zu schaffen, hat einem Privatmann jetzt eine Lösung abgepresst, zu der der Sammler rechtlich nicht verpflichtet gewesen wäre, die aber den Schaden mindert, den das Ansehen Deutschlands weltweit genommen hat. Und nebenbei: es würde niemanden wundern, wenn in einigen Jahren Politiker beteuern würden, es sei damals kein Teil des Deals mit dem Kunstliebhaber gewesen, ein Museum zu bauen, in dem Gurlitts Bilder dann womöglich ausgestellt werden. Was ja auch nicht unvernünftig wäre.

Der Vertrag mit Gurlitt ist im Ergebnis gut, seine praktische Umsetzung wird noch große Probleme machen. Es ist nach so vielen Jahrzehnten keineswegs leicht, die Geschichte der Kunstwerke zurückzuverfolgen und zu entscheiden, wem sie heute gehören. Im praktischen Leben gibt es da nicht nur die damaligen Opfer und ihre heutigen Erben. Da gibt es auch Zwist unter Erben oder solchen, die sich dafür halten. Vor allem gibt es Anwälte, die massiv und fintenreich agieren. Der Kampf um die Bilder ist manchmal auch ein Geschäft. Und es gibt eine äußerst komplizierte und komplexe Rechtslage. Das ist eben die Folge, wenn ein Staat sich zu lange weggeduckt hat.