Die Ermittler sind sich sicher, die Ursache für den Absturz des Germanwings-Airbus in Frankreich gefunden zu haben. Der Co-Pilot hat den Sinkflug absichtlich eingeleitet. Eine Erklärung, die keinen Trost bietet, meint der StZ-Redakteur Michael Maurer.

Stuttgart - Das Rätselraten hat ein Ende, ein noch schrecklicheres Ende, als man es sich vorstellen konnte. Es war kein technischer Defekt und auch kein unglückliches Zusammentreffen widriger Umstände, die zum Tod von 150 Menschen geführt haben. Es waren der Wille und das Handeln eines einzigen Menschen. Der Co-Pilot des Germanwings-Fluges hat nach allem, was man nun weiß, den Airbus absichtlich an den Felswänden in den französischen Alpen zerschellen lassen. Der 27-Jährige habe den Piloten aus dem Cockpit ausgesperrt und den Sinkflug bewusst eingeleitet, so lautet das Fazit des französischen Staatsanwaltes. Er habe die Maschine zerstören wollen. Die Maschine – und alles Leben darin. Es ist eine bittere Ironie, dass dabei eine Maßnahme, die zum Schutz der Passagiere gedacht war, sich ins Gegenteil verkehrt hat. Die konsequente Verriegelung der Cockpit-Tür sollte eigentlich Angriffe von Terroristen auf die Piloten verhindern. Jetzt hat sie verhindert, dass der Pilot sein Flugzeug retten konnte.

 

Acht Minuten lang hat der tödliche Sinkflug gedauert. Acht Minuten, in denen der Pilot und die Crew vergeblich versucht haben, die Cockpit-Tür aufzubrechen. Acht Minuten, in denen die Passagiere aber vermutlich kaum etwas von ihrem tödlichen Schicksal geahnt haben. „Die Schreie der Passagiere hören wir erst in den letzten Sekunden auf dem Band“, sagen die Ermittler, nachdem sie den Stimmenrekorder ausgewertet haben. Es sind die nüchternen Sätze derjenigen, die von Berufs wegen auch die größten Grausamkeiten dokumentieren müssen. Doch wenn man sich vorstellt, in welcher Panik die 144 Frauen, Männer und Kinder im Passagierbereich diese Schreie ausgestoßen haben, dann zerreißen einem auch die nüchternsten Sätze das Herz.

Der Mensch sucht einen Rest an Rationalität

Das Rätselraten über die Unglücksursache hat ein Ende. Aber ist die Tragödie dadurch erklärbar geworden? 150 Menschen sind gestorben, nicht weil eine Software versagt hat oder ein Triebwerk ausgefallen ist. Sie sind gestorben, weil einer von ihnen den Willen und die Macht hatte, Schicksal zu spielen. Der Mensch sucht in unfassbaren Katastrophen wie jener von Seyne-les-Alpes stets noch einen Hauch von Fassbarkeit, einen Rest an Rationalität, der ihm hilft, das Irrationale wenn schon nicht zu erklären, so doch immerhin zu verarbeiten. Ein technischer Defekt wäre ein Rest an Rationalität gewesen. Er hätte das Unglück verstehbar gemacht, vielleicht Lösungsmöglichkeiten für die Zukunft eröffnet und so die Hoffnung genährt, dass sich solch eine Tragödie nicht wiederholen wird. Auch dies wäre eine trügerische Hoffnung gewesen, aber immerhin.

Die Ursache für das Zerschellen des Germanwings-Airbus liefert diesen Rest an Rationalität nicht. Sie lässt allein den Faktor Mensch als Grund für die Katastrophe zu und bleibt damit im Irrationalen. Wie soll man verstehen, was in einem jungen Mann vorgeht, der zu solch einer Tat fähig ist? Wir können uns terroristische Anschläge dieses Ausmaßes noch einigermaßen mit religiösem oder politischem Fanatismus erklären. Doch im Fall der in Tausende von Einzelteilen zerfetzten Maschine in den französischen Bergen helfen keine Deutungsmuster mehr.

Die Anteilnahme bietet Trost

Die Untersuchungsergebnisse lassen also nicht die Hoffnung zu, dass der Mensch aus einem Fehler lernen und seine Technik verbessern kann. Sie rufen vielmehr ins Gedächtnis, dass wir uns untereinander ausgeliefert sind. Auch durch noch so viele Sicherheitsmaßnahmen werden Verbrechen nicht zu verhindern sein. Dazu ist der Mensch selber viel zu irrational. Die Erkenntnisse der Ermittler nach dem Absturz von 4U 9525 bieten deshalb keinen Trost. Doch der Akt der Unmenschlichkeit hat Grenzen überschreitend eine Welle von Anteilnahme und Mitgefühl hervorgerufen – und diese Menschlichkeit ist es, die trotz allem tröstend wirkt.