Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen erhält den Friedens-Nobelpreis. Sie ist eine würdige Preisträgerin. Dennoch hätte das Osloer Komitee mehr Mut bei seiner Entscheidung zeigen können, kritisiert der StZ-Redakteur Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Geschichte des Friedensnobelpreises ist immer auch die Geschichte jener Menschen, die ihn nicht bekommen haben. Leer aus geht in diesem Jahr Malala. Es wäre der vorläufige Höhepunkt einer atemberaubenden Geschichte gewesen: vom Terroropfer der Taliban zum weltweit leuchtenden Vorbild im Kampf für Freiheit und Menschenrechte. Alfred Nobel hätte die Vergabe der Auszeichnung an das junge Mädchen aus Pakistan sicherlich gefallen, soll sie doch an jene gehen, die „im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“. Auf Malala trifft das durchaus zu, doch hätte ihre Wahl dennoch einige Kontroversen ausgelöst.

 

Das Komitee zur Vergabe des Preises hat sich indes für einen unproblematischen Kandidaten entschieden. Niemand wird ernsthaft einwenden können, die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen hätte diese hohe Ehre nicht verdient. Seit vielen Jahren setzt sie sich für die Zerstörung von Massenvernichtungswaffen ein. Aktuell sind ihre Mitarbeiter in Syrien unterwegs und begeben sich im Kampf für eine bessere Welt in akute Lebensgefahr. Das verdient unseren allergrößten Respekt.

Lehren aus dem Fehlurteil gezogen

Die Vergabe wird also keine allzu heftigen Diskussionen nach sich ziehen. Wer erinnert sich nicht an die weltweite Häme, als US-Präsident Barack Obama vor vier Jahren die Auszeichnung entgegennahm, ein Politiker, der damals außer hoffnungsvollen Versprechungen herzlich wenig zu bieten hatte. Das Nobelpreiskomitee ist mit jener spektakulären Entscheidung eine riskante Wette auf die Zukunft eingegangen – und hat verloren. Dieser Schreck sitzt den Frauen und Männern in Oslo offensichtlich noch tief in den Knochen, sie sind wesentlich vorsichtiger geworden. Zudem haben sie Lehren aus dem Fehlurteil gezogen.

Für Barack Obama war der Nobelpreis kein Segen, ganz im Gegenteil. Im täglichen Entscheidungsmarathon der Realpolitik ist ihm die Auszeichnung zu einer immer größeren Last geworden. Ständig musste sich der Hoffnungsträger Obama an seinen Versprechungen messen lassen. Doch funkensprühender Idealismus allein reicht nicht, um die Welt zum Guten zu verändern. Man muss die hehren Ideen mit sehr viel persönlichem Mut und großer Ausdauer in durchdachtes Handeln umsetzen.

Symbolisch wichtige Auszeichnung

In diesem Sinne war es eine kluge Entscheidung, den Nobelpreis nicht der jungen Malala zu überreichen. Zu groß ist die Gefahr, dass sie an den riesigen Erwartungen der Welt zerbrechen könnte. Wenn sie ihren Traum verwirklicht und eines Tages tatsächlich als starke Premierministerin von Pakistan weiter für die Rechte der Menschen in ihrem Land kämpft, dann wird das Nobelpreiskomitee nicht zögern, ihr den Preis zu überreichen. Das mutige Mädchen Malala ist inzwischen so berühmt und mit Auszeichnungen, etwa dem Sacharow-Preis, überhäuft, dass ihr die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ihrem Weg dorthin sicher sein dürfte.

Falsch wäre es, wenn das Nobelpreiskomitee bei der Vergabe in Zukunft zu oft auf die sichere Karte setzen würde. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass durch die Verleihung der symbolisch wichtigen Auszeichnung positive politische Entwicklungen vorangetrieben worden sind – was sich bisweilen allerdings erst Jahre danach gezeigt hat. 1983 erhielt der Pole Lech Walesa den Preis, lange bevor jemand ahnen konnte, dass sich die Bürgerrechtsbewegung gegen das Regime durchsetzen würde. Und die Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi, die sich für das Ende der Repressionen in Myanmar einsetzt, wäre ohne den Friedensnobelpreis im Jahr 1991 in der Weltöffentlichkeit nicht derart präsent. Es ist also gut, wenn die Mitglieder des Komitees in Oslo mit ihren Entscheidungen Einfluss auf den Lauf der Welt nehmen wollen. Das braucht Mut, birgt aber die große Gefahr, bisweilen auch Fehler zu machen.