Der NSU-Prozess ist nicht nur einer der größten Strafprozesse, er ist auch einer der politisch brisantesten. Er wird international sehr genau beobachtet. Das Münchner Gericht hat unsensibel und unklug gehandelt. Es hat allein auf die Regeln der Strafprozessordnung geschaut, was ja notwendig ist, dabei aber die Öffentlichkeit und ihre Belange völlig aus dem Auge verloren. Selbst als ein Sturm der Empörung über es hereinbrach, hat es nicht nachgebessert, sondern versucht sich wegzuducken. Das konnte nicht gut gehen. Erst das Verfassungsgericht hat im Ergebnis verhindert, dass das internationale Ansehen Deutschlands Schaden nimmt. Die Verschiebung des Prozesses macht nun die Blamage für die Justiz wieder größer.

 

Münchner stehen nun vor neuen Unwägbarkeiten

Es wäre freilich zu einfach, alle Schuld nur den von Karlsruhe bloßgestellten Münchnern zu geben. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts schafft nämlich, so klug sie politisch sein mag und so wünschenswert das Ergebnis ist, neue juristische Probleme. Die Münchner Entscheidung war naiv und provozierend; aber sie war nach allem, was bis Freitagmittag galt, juristisch korrekt und zuvor oft so praktiziert worden. Nicht alles, was dumm ist, verstößt gegen das Recht. Das Verfassungsgericht aber legt nahe, eine bewährte, in diesem Fall freilich untaugliche Praxis könne sogar verfassungswidrig sein. Das wird Folgen haben.

Die Münchner, die ja verzweifelt alles richtig und vor allem revisionssicher machen wollten, stehen nun vor neuen Unwägbarkeiten. Es ist naheliegend, dass bei einer neuen Akkreditierung dann unterlegene Journalisten erneut vor das Verfassungsgericht ziehen. Zu klären wird möglicherweise sein, ob nicht nur für türkische Zeitungen besondere Quoten notwendig sind, sondern auch für jene Medien, in deren Nähe viele der Morde geschehen sind. Das wird nicht nur in diesem Prozess so sein. In jedem großen Strafverfahren wird die Akkreditierung der Journalisten plötzlich eine Rolle spielen. Weil Fehler hier ein absoluter Revisionsgrund sind und so die letzte Chance für manchen Angeklagten. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.