Auf die Städte und Kommunen kommen große Herausforderungen zu. Sie müssen Antworten auf die demografischen Probleme unserer Gesellschaft finden, um lebenswert zu bleiben, fordert die StZ-Redakteurin Barbara Thurner-Fromm.

Stuttgart - Ob eine Stadt funktioniert, ob sie lebenswert ist und Heimat verkörpert, spürt jeder am eigenen Leib: Kann man vor Ort einkaufen, wird der Müll weggeschafft, findet sich eine Kinderbetreuung im Quartier und eine Schule, die zu Fuß erreichbar ist? Kann man auch nachts sicher durch die Straßen gehen, und gibt es ein reges Vereinsleben und aktive Bürger, die sich politisch engagieren und nachbarschaftlich mitanpacken? Beflügelt Kultur die Städter, und stillen Bibliothek und Bildungseinrichtungen den Wissensdurst? All das macht Lebensqualität aus. Dass man sich nicht jeden Tag Gedanken macht, ob man den Alltag organisiert bekommt, belegt, dass die Städte und Gemeinden im Großen und Ganzen gut funktionieren. Das wird auch der Deutsche Städtetag so sehen, bei dessen Jahresversammlung heute die Kanzlerin ihre Aufwartung macht.

 

Den Kommunen geht es – finanziell betrachtet – derzeit nicht schlecht. Die stabile Wirtschaft beschert ihnen ordentliche bis sehr gute Gewerbesteuereinnahmen; das war auch schon mal ganz anders. Die Städte und Gemeinden in Ostdeutschland, nach der Wiedervereinigung viele Jahre politische Sorgenkinder, sind inzwischen schmuck saniert und mit einer modernen Infrastruktur versehen, um die sie westliche Gemeinden oft beneiden. Die Bundesregierung hat die Städte zudem spürbar dadurch entlastet, dass sie schrittweise die Grundsicherung für die älteren Menschen übernimmt. Alles bestens also?

Der Bedarf an Kitaplätzen wurde krass unterschätzt

Keineswegs. Denn unbestreitbar plagen die Kommunen auch aktuell erhebliche Nöte – und sie stehen vor großen Herausforderungen. Die erste Nagelprobe findet am 1. August statt; von da an haben zwar alle einjährigen Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz – aber viele Eltern werden gleichwohl vergeblich eine Kita für ihre Sprösslinge suchen. Zuerst wurde das Thema – auch auf höherer Ebene – politisch jahrelang verschlampt, dann wurde der Bedarf krass unterschätzt. Inzwischen setzen auch noch die fehlenden pädagogischen Fachkräfte der Aufholjagd Grenzen. Deshalb wird der Sommer nicht lustig. Großen Nachholbedarf gibt es auch bei Ganztagsschulen, die berufstätige Eltern für ihre Kinder dringend benötigen. Die Städte müssen sich also noch etliches einfallen lassen, bis sie wirklich kinderfreundlich sind und es nicht nur – Beispiel Stuttgart – vollmundig behaupten.

Mit großer Dynamik wächst ein weiteres soziales Problem: die explodierenden Immobilienpreise und Mieten. Ob Berlin, Hamburg, München oder Stuttgart – die vielen Baustellen sind nur das Symbol für eine Entwicklung, die ärmere Schichten, Familien, Studenten und Rentner aus ihren angestammten Quartieren vertreibt und statt ihrer exklusiven Platz schafft für gut Betuchte, kinderlose Doppelverdiener oder Spekulanten, die nur auf die Rendite schielen.

Die Infrastruktur muss sich anpassen

Doch eine Stadt, in der die soziale Mischung nicht mehr stimmt, verödet. Sie wird architektonisch beliebig und langweilig, wenn sie nur auf Bauträger setzt, die überall die gleichen gesichtslosen Beton- und Glasblöcke hochziehen statt auf kreative Bauherren, die vor Ort leben und sich wohlfühlen wollen. Mehr Vielfalt und sozialer Wohnungsbau, mehr Projekte für nachhaltiges Arbeiten und modernes Leben sind nötig für neue Impulse.

Das gilt besonders im Hinblick auf die demografischen Herausforderungen, die die Städte schon bald finanziell stärker belasten. Nicht nur die Sozialkosten werden weiter steigen. Auch die Infrastruktur für die Daseinsvorsorge muss sich anpassen. Das reicht vom öffentlichen Nahverkehr über neue Dienstleistungen bis hin zu innovativen Lebensformen. Denn die wohl größte Herausforderung ist die Einsamkeit vieler alter Menschen, weil immer mehr allein leben. Städte brauchen auch dafür eine sozial wache und engagierte Bürgerschaft. Die lebt aber nicht in Glaspalästen.