Die gefühlte Unsicherheit ist viel höher als die echte Bedrohung. Dagegen gibt es Abhilfe: mehr und aktuellere Zahlen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Man muss es ja nicht gleich machen wie die Polizei in Washington, DC. Auf ihrer „DC Crime Map“ kann man jedes Eigentums- und Gewaltdelikt im Internet abrufen. Man findet dann zum Beispiel heraus, dass im Mai und Juni in der Pennsylvania Avenue, gleich neben dem weißen Haus, zwei Diebstähle polizeibekannt wurden. Die Details kann jedermann per E-Mail anfordern, das Aktenzeichen ist in der Karte vermerkt. Wer einmal weiterklickt, sieht obendrein, dass die Gegend nordöstlich von Donald Trumps Wohnsitz zu den gefährlichsten der Stadt gehört.

 

So viel Transparenz ist hierzulande nicht annähernd denkbar. Warum eigentlich? Neben den täglichen, von der Polizei selbst verfassten Presseberichten haben die Bürger quasi keine Möglichkeit, sich über die aktuelle Polizeistatistik zu informieren. Sicher, die Polizei veröffentlicht eine mit großem Aufwand erstellte Jahresbilanz. Sie erscheint im Frühjahr des Folgejahres – zu spät, um den Bürgern ein Bild von der aktuellen Bedrohungslage zu bieten. Dabei könnte die Statistik dazu beitragen, dass die gefühlte Sicherheit sich wieder mehr an die tatsächliche Sicherheit in Deutschland annähert.

Im April verkündete der Bundesinnenminister Horst Seehofer, dass die Zahl der Straftaten 2018 auf den niedrigsten Stand seit langem gefallen sei – und dass die Deutschen einer Studie zufolge trotzdem immer mehr Angst davor hätten, Opfer eines Verbrechens zu werden. Zum Glück werden nur wenige Bürger mit Straftaten konfrontiert. Wollen sie sich über die Sicherheitslage informieren, müssen sie andere Wege gehen. Wer täglich den Polizeibericht liest, kann leicht auf die Idee kommen, dass Stuttgart ein unsicheres Pflaster ist – weil sich ein Dutzend Meldungen zu Einbrüchen, Diebstählen und sexueller Belästigung pro Tag schnell zu einem unguten Gesamtbild zusammensetzen. Außerdem kann die fehlende Lokalisierung leicht das Gefühl vermitteln, das Verbrechen lauere um die Ecke. Der Realität, die mehr als 600 000 Stuttgarterinnen und Stuttgarter jeden Tag erleben, entspricht es oft nicht.

Stuttgart, ein unsicheres Pflaster?

Das sehen Menschen, die Opfer von Verbrechen geworden sind, sicherlich anders. Jeder Bestohlene, jede Ausgeraubte, jedes Opfer von Sexualverbrechen verdienen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Aber Kriminalität ist die Ausnahme. Die Statistik kann helfen, das zu erkennen – sofern die Zahlen aktuell sind. Längst wäre es technisch möglich, die von der Polizei ohnehin in einer Datenbank erfassten Vorkommnisse beispielsweise auf Stadtbezirksebene gesammelt auszuspielen und dabei auch Datenschutz und Privatsphäre zu wahren. Für entsprechende Beispiele muss man nicht einmal in die USA schauen, sondern kann den digitalen Unfallatlas des Statistischen Bundesamts aufrufen. Dort sind sämtliche Verkehrsunfälle exakt lokalisiert – wenn auch nur für die Jahre 2016 und 2017.

Appell an Polizei und Innenminister

Polizei und Innenminister sollten sich überlegen, die neuen technischen Möglichkeiten für mehr als nur die interne Arbeit zu nutzen. Kann, ja muss nicht Öffentlichkeitsarbeit breiter gedacht werden? Der ausformulierte Polizeibericht würde ja durch eine permanent aktualisierte Kriminalitätsstatistik nicht plötzlich obsolet. Mit den Zahlen könnte man zumindest all jenen Schwarzmalern den Wind aus den Segeln nehmen, die aus möglicherweise eigennützigem Interesse das Bild von einem in Chaos und Kriminalität versinkenden Land zeichnen.

In Washington, DC ist unter anderem die Zahl der geknackten Autos seit Jahresbeginn stark zurückgegangen. Auch solche positiven Erkenntnisse kann eine Crimemap liefern, gerade in einer relativ sicheren Großstadt wie Stuttgart. Zeit, dass wir die Angst vor den Zahlen ablegen.