Der Volksentscheid am Wochenende in der Ukraine könnte dazu führen, dass eines der größten und volksreichsten Länder Europas in ein halbes Dutzend Zwergstaaten zerlegt werden könnte, kommentiert die StZ-Autorin Elke Windisch.

Moskau - „Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter“. Der Spruch gehört zu den berühmtesten rhetorischen Fehlleistungen des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow. Doch der Satz passt ein halbes Jahrhundert später bestens, um die Entwicklung in der Ukraine zu beschreiben: Spätestens der Volksentscheid am Wochenende im pro-russischen Südosten zwingt uns, unsere rhetorischen Fehlleistungen zu korrigieren und statt von Krise von Krieg zu sprechen – von Bürgerkrieg, in dessen Ergebnis sich eines der größten und volksreichsten Länder Europas entlang der historischen Verwerfungslinien in ein halbes Dutzend Zwergstaaten zerlegen könnte.

 

Putins Schwenk gibt Rätsel auf

Zwar hatte Wladimir Putin die Separatisten in letzter Minute zurückgepfiffen. Ob er dabei hoffte, diese würden das Referendum dennoch durchziehen, ist in Russland umstritten. Unumstritten ist, dass er, unabhängig vom Ausgang des Volksentscheids, langfristig in einer komfortableren Situation als der Westen ist. Bei einer insgesamt geringen Wahlbeteiligung wird der Kreml das Ergebnis wohl ignorieren und damit einen Schwebezustand wie in Transnistrien wahren: Moldawiens abtrünniger Slawenregion, die schon 2006 für einen Russlandbeitritt votierte. Ein schwelender Konflikt, den Moskau, sollte die politische Konstellation geeignet sein, wie jetzt in der Ukraine, jederzeit reaktivieren kann.

Russland werde die Stimme der Brüder nicht überhören, tönte Vizepremier Dmitri Rogosin, Putins Transnistrien-Beauftragter, gestern, als er die Region dort aufsuchte, mit einem strategischen Langstreckenbomber, der beim Rückflug den Luftraum des Nato-Mitglieds Rumänien verletzte.