Rainer Brosi hat ein Luxusproblem: er wurde für zwei politische Gremien in Sachsenheim gewählt. Jetzt will er lieber auf den Sitz im Ortschaftsrat verzichten. Doch so leicht kann man sich einem Ehrenamt nicht entziehen...

Sachsenheim - Jetzt will er doch nicht mehr. Rainer Brosi ist sowohl in den Gemeinderat der Stadt Sachsenheim als auch in den Ortschaftsrat des Teilorts Hohenhaslach gewählt worden. Das Amt des Ortschaftsrates will er nun aber gar nicht antreten: Zwei Ämter seien ihm zu viel, sagt er. Allerdings dürfen Ehrenämter wie diese laut der Gemeindeordnung nur aus triftigen Gründen abgelehnt werden. Ob ein solcher bei Brosi vorliegt, entscheidet nächste Woche der Ortschaftsrat.

 

Für Rainer Brosi ist die Sache klar: Wenn er sowohl im Gemeinde- als auch im Ortschaftsrat aktiv ist, leidet seine Familie darunter. Denn als selbstständiger IT-Berater sei er ohnehin schon viel am Abend unterwegs. Wenn dann noch zig abendliche Sitzungen der Gremien sowie die Vorbereitung auf diese dazukämen, sei er nur noch unterwegs.

Im Gemeinderat hingegen will Rainer Brosi durchaus tätig sein: „Da wird schließlich die wichtigere Arbeit gemacht“, sagt er. Er habe schließlich nicht wissen können, wie gewählt werde: „Wäre ich sicher gewesen, dass ich in den Gemeinderat komme, hätte ich nicht für den Ortschaftsrat kandidiert“, sagt Brosi. Hinzu komme, dass sein mit nur etwa 15 Stimmen weniger ebenfalls zum Ortschaftsrat gewählter Bruder Peter Brosi sein Amt nicht antreten könne, wenn er selbst dies tue: In Orten mit weniger als 10 000 Einwohnern dürfen Verwandte nicht in dem politischen Gremium sitzen. Räume er den Platz, dann sei sein Bruder bereit, nachzurücken.

Dabei hätte es sich Brosi gar nicht so schwer machen müssen. Im Kreis Ludwigsburg finden sich – selten zwar – immer wieder Fälle von kommunalen Mandatsträgern, die ihr Amt antreten, aber eher sporadisch ausüben. Zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit finden sich im Gemeinderat Remseck und im Kreistag Ludwigsburg. Der geschäftlich viel reisende Profimusiker Cherry Gehring konnte sein Amt als Grünen-Stadtrat seit 2009 kaum noch ausüben und war laut Christiane Conzen, einer Sprecherin der Stadtverwaltung, „mehr abwesend als anwesend“. Er ließ sich oft entschuldigen, zog aber im Oktober 2011 die Reißleine: seiner Bitte, aus dem Gremium ausscheiden zu dürfen, wurde stattgegeben. Ebenfalls mehr ab- als anwesend war der Ludwigsburger Fischhändler Andreas Seybold (Freie Wähler) im Kreistag. Er wurde in der vergangenen Wahlperiode nur drei- bis viermal bei Sitzungen gesichtet. 2014 wurde er nicht wieder gewählt.

Jetzt muss Rainer Brosi darauf hoffen, dass seine Argumente die Ortschaftsräte überzeugen – das erscheint fraglich. Der Ortsvorsteher Alfred Xander will sich bedeckt halten – er wolle seine Gremiumskollegen in ihrer Entscheidung nicht beeinflussen. Er gibt aber zu bedenken, dass laut der Gemeindeordnung in gewissen Fällen zwar Gründe akzeptiert werden können, die eine gewählte Person daran hindern, ihr Amt auszuüben. Diese müssten sich aber zwischen Wahl und Amtsantritt neu ergeben – das sehe er bei Brosi nicht. „Eigentlich sollte jemand, der sich für zwei Gremien bewirbt, auch in der Lage sein, für beide Gremien anzutreten“, sagt Xander.

Die Verwaltung ist skeptisch

So sieht es auch die Stadtverwaltung: Sie sehe die mögliche Anerkennung von Brosis Ansinnen „skeptisch“, teilt sie mit. Schließlich solle sich ein Kandidat im Vorfeld damit befassen, ob seine berufliche Tätigkeit mit einem möglichen Amt vereinbar sei. Der Bürgermeister Horst Fiedler betont zudem: „Der Wählerwille ist ausschlaggebend.“ Die Bürger sollten erwarten können, dass derjenige sein Amt antritt, den sie gewählt haben. Rainer Brosi findet, dass der Wählerwille auch damit berücksichtigt sei, wenn sein Bruder in den Ortschaftsrat einziehe: Er habe ja nur 15 Stimmen weniger gehabt. „Die Leute kriegen so oder so nur einen Brosi“, argumentiert er.

Bürgermeister Fiedler sieht das jedoch nicht so locker. Dieser Fall sei gerade deshalb besonders brisant, weil Rainer Brosis Bruder von dessen Rückzug profitieren würde. Wenn dieses Beispiel funktioniere, bestehe die Gefahr, dass es Schule mache und sich künftig prominente Personen zur Wahl aufstellen lassen, um ihr Mandat dann an andere weiterzugeben. Zudem gebe es auch andere Mitglieder des Gemeinderats mit einem Doppelmandat. Angesichts von nur drei bis vier Sitzungen des Ortschaftsrates im Jahr sei die Ausübung beider Ämter gleichzeitig durchaus machbar, findet Horst Fiedler.

Die Strafe, die kaum einer verhängt

Grundlage
: Im Prinzip ist die Sache klar: „Die Gemeinderäte sind verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen“, heißt es in der Gemeindeordnung (§ 34). Wer unentschuldigt fehlt, macht sich demnach einer „gröblichen Pflichtverletzung“ schuldig.

Sanktion:
Verweigert ein Gremium seinem Mitglied das Ausscheiden, dann ist dieses Mitglied verpflichtet, zu den Sitzungen zu erscheinen – sonst fehlt es unentschuldigt. Theoretisch kann dafür sogar eine saftige Strafe fällig werden. So kann ein Ordnungsgeld von bis zu 1000 Euro verhängt werden. Zuständig dafür ist wiederum der Gemeinde- oder Ortschaftsrat selbst.

Praxis
: In der Realität gibt es solche Maßnahmen so gut wie nie. Meist lassen Gewählte ein paar Monate verstreichen, um danach ihr Ausscheiden zu beantragen. Zudem hat niemand ein Interesse daran, dass ein Desinteressierter zwangsweise an Sitzungen teilnimmt und Verwaltungen schrecken davor zurück, Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren (wollten), mit einem Ordnungsgeld zu bestrafen. Besonders hartnäckigen Pflichtverweigerern können die Räte aber einen Denkzettel verpassen. (mk)