Münchens größtes Problem ist sein ungebremstes Wachstum. Wohnen wird für Gering- und Mittelverdiener tendenziell unbezahlbar, und die Verkehrsstaus sind die längsten in Deutschland.

München - Kommunalwahlen stehen an in Bayern, und neulich hat eine Münchner Lokalzeitung mal wieder die örtlichen Spitzenkandidaten zur „Elefantenrunde“ eingeladen. Wobei das Trio gar nicht so elefantesk aussah. Eher so: in der Mitte ein stattlicher Oberbürgermeister-Platzhirsch, flankiert von zwei jungen, attraktiven Damen, was der Nachbarin den Satz entlockte: „Mei, fesch is er scho, unser Herr Reiter!“

 

Der Herr Reiter, Dieter mit Vornamen, SPD-Mann, seit 2014 Oberbürgermeister in München und in diesen Wahlkampfwochen – wahrscheinlich wegen überbordender Bekanntheit – auffallend wenig plakatiert, der muss also am kommenden Sonntag sein Amt verteidigen. Den Umfragen nach wird es ihm wohl gelingen, vielleicht aber nicht im ersten Anlauf. Diesen Frauen an seiner Seite könnte es nämlich durchaus gelingen, den knapp 62-jährigen in die Stichwahl zu zwingen. Die größten Chancen dafür werden der Grünen-Kandidatin Katrin Habenschaden (42) zugesprochen; dieser ist aber die CSU-Bewerberin Kristina Frank (38) dicht auf den Fersen.

Soweit die persönlichen Aussichten für die drei. Für deren Parteien sieht es in den Umfragen schon ganz anders aus. Denn Bayerns Landeshauptstadt, die seit 2014 Rot-Schwarz regiert wird, hat sich in diesen sechs Jahren deutlich umgefärbt. Bei der Landtagswahl 2018 sind die Grünen mit 31,1 Prozent und einem Zugewinn von satten 19 Punkten zur mit Abstand stärksten Partei geworden; diesen Höhenflug haben sie bei der Europawahl 2019 ohne jedes Luftloch fortgesetzt. Vor allem die CSU, die im Gegensatz zur ebenfalls heftig schwächelnden SPD ohne Oberbürgermeister-Bonus antreten muss, befürchtet im symbolkräftigen München eine sehr deftige Niederlage. Nicht umsonst bezeichnet Parteichef Markus Söder die Grünen als die Hauptgegner der CSU.

Widersprüche in der CSU

Dabei tut Söder als Ministerpräsident, um seine Landeshauptstadt zu hätscheln. Noch weiter ausbauen will er sie als Hightech-Metropole mindestens ganz Deutschlands; zu hunderten sollen neue Studienplätze und zu tausenden neue Jobs entstehen – vor allem im Automobilbereich und bei der Künstlichen Intelligenz. Aber vielleicht war das den Münchnern zu viel an Turbo. Es fällt auf – und in der eigenen Parteizentrale, heißt es, sei man „not amused“ –, dass ausgerechnet die Münchner CSU-Kandidatin einen radikalen Retro-Kurs fährt. „München soll wieder München werden“, lässt Kristina Frank plakatieren; das Tempo in der Stadt werde „immer hektischer“, man gerate „aus der Balance“ und wolle „wieder zurück zu Gelassenheit, Neugier und Lebensfreude.“

In der Tat wird Münchens ungebremstes Wachstum auch von vielen anderen bereits jetzt als das Problem der Stadt schlechthin bezeichnet: Die Einwohnerzahlen – heute 1,6 Millionen – steigen jedes Jahr um netto etwa 13.000; die Preise für Eigentumswohnungen haben sich in den letzten zehn Jahren glatt verdoppelt, bei der Höhe der Mieten führt München alle Listen in Deutschland an, und es geht weiter nach oben. Darunter leiden nicht mehr nur Leute, die niedrigen Lohngruppen angehören, sondern zunehmend auch „Normalverdiener.“ Krankenhäusern, Kitas, staatlichen Behörden wie der Polizei und den städtischen Verkehrsbetrieben fällt es immer schwerer, junge Mitarbeiter zu gewinnen: denen ist die Stadt einfach zu teuer. Gleichzeitig geht die soziale Schere zwischen arm und reich immer weiter auf.

Allzu viele gut bezahlte Jobs

Welt-Computerfirmen wie Microsoft, IBM, Apple unterhalten große Entwicklungsabteilungen in München, und Google, jetzt schon prominent vertreten, hat kürzlich angekündigt, noch weitere 1500 Arbeitsplätze zu schaffen. BMW blüht und boomt. Das alles sind üppig bezahlte Jobs, die wiederum die Wohnungspreise steigen lassen und das längst zu knappe Angebot weiter schmälern werden. Und das noch bevor Söder seine „Hightech-Rakete“ für München überhaupt zündet.

Dass München „wieder bezahlbar“ werden müsse, ist also der Slogan fast aller Parteien. Lösungen indes sind nicht zu erkennen. Ein „Stopp dem Wachstum!“ traut sich niemand zu rufen, und Marktwirtschaftler sagen, wenn München so beliebt sei, dann sei es halt so; den Zuzug könne man nicht begrenzen. Dass im Wohnungsbau über Jahrzehnte einiges versäumt worden ist; dass auch der Freistaat durch den massenhaften Verkauf eigener Wohnungen an private Investoren und Spekulanten einige Schuld an der ungehemmten Preissteigerung hat, macht sich jetzt schmerzlich bemerkbar. Währenddessen gehen der Stadt die Baugründe aus, und eine Zusammenarbeit mit den Umlandgemeinden zur Kanalisierung des Wachstums kommt erst langsam in Gang.

Die Farbe der Schickeria

Das zunehmende Gedränge schafft unablässig auch Verkehrsprobleme. Die Autostadt München ist auch die Stauhauptstadt Deutschlands. Der öffentliche Verkehr fährt beinahe täglich an seiner Belastungsgrenze, weil ein Ausbau proportional zum Bevölkerungswachstum unterblieben ist, und alle paar Tage ist das Nadelöhr der Stadt, die Stammstrecke der S-Bahn, verstopft, was jeweils tausende von Berufspendlern-Begriff blockiert.

SPD und Grüne setzen (sich) dagegen aufs Fahrrad; hinreichend flach ist München ja. Die CSU wiederum poltert gegen diese „RADikale Verkehrspolitik“, die nur „auf Kosten der Fußgänger, ÖPNV-Fahrer und all jener geht, die auf das Auto angewiesen sind.“ Fahrverbote will in München ohnehin niemand, auch wenn die Luft in einzelnen Straßenzügen zeitweise die schmutzigste in ganz Deutschland war. Aktuell, im Wahlkampf, ist die Debatte darüber sowieso eingeschlafen.

Den Umfragen nach spricht viel dafür, dass es die Stadt künftig Rot-Grün regiert wird. Das war zwar schon von 1996 bis 2014 der Fall, hat aber langfristig zur Misere der heutigen Sattheit beigetragen. Nicht grundlos geht auch das böse Wort um, dass München deswegen so grün eingefärbt ist, weil viele von den Reichen hier „es sich leisten können“ – das läuft auf Schickeria-Grünentum hinaus. Ein Umsteuern wird also nötig sein: bei der selbstgefälligen, vom Erfolg Münchens geradezu berauschten SPD ebenso wie bei denen, die früher mal eine Alternative sein wollten.