War die Finanz- und Immobilienkrise in den USA vor einem Jahrzehnt wirklich für alle eine Überraschung? Adam McKays erhellende Komödie „The Big Short“ erzählt beißend ironisch von Spekulanten, die früh auf den Absturz der Märkte setzten.

Stuttgart - Armut ist nicht sexy. Und Geiz findet niemand wirklich geil. Im Jahr 2005 war die Quote derjenigen, die in den USA ein eigenes Haus besaßen, so hoch wie nie zuvor. Und das, obwohl die Preise auf dem Immobilienmarkt seit den Neunzigern stetig in die Höhe geklettert waren. Wie konnte es sein, dass auch junge Menschen mit ungesichertem Einkommen, Arbeiter im Niedriglohnsektor oder sogar Arbeitslose Kredite aufnehmen konnten?

 

Aus Sicht der Banken waren die prekären Verhältnisse ihrer Kunden kein nennenswertes Problem. Schließlich hafteten diese mit ihren Häusern, Autos und teurer   Unterhaltungselektronik. Die Kreditunternehmen finanzierten die immer größeren Träume der kleinen Leute und schnürten deren faule Kredite zu undurchsichtigen Paketen, die sie im Interbankhandel anderen Instituten und deren Kapitalanlegern unterjubelten. So sollten angeblich die Risiken gleichmäßig verteilt werden. Auch wer wenig Ahnung von den verwickelten Vorgängen auf den Finanzmärkten hat, ahnt, dass so eine Strategie nicht lange gut gehen kann.

Wetten auf den Kollaps

In Adam McKays grandios erzählter Nachstellung des Finanzkrisen-Urknalls, „The Big Short“, wollen die Akteure jedoch keinerlei Unkenrufe vernehmen. Einen wie Michael Burry (Christian Bale), einen ehemaligen Mediziner, der als Hedgefonds-Manager barfüßig durch sein Büro schlurft und Zahlen analysiert, während ohrenbetäubender Heavy Metal aus seinen Boxen dröhnt, nehmen die arroganten Bankbosse nicht für voll. Also macht Burry es sich zur Aufgabe, die Ökonomen vorzuführen, und wettet zusammen mit anderen Spekulanten gegen das System und auf den Kollaps.

Die Geschichte in „The Big Short“ klingt haarsträubend und fast zu irre, um wahr zu sein. Doch Adam McKay („Anchorman“) verfilmt kein fiktionales Drehbuch, sondern stützt sich auf das gleichnamige Sachbuch von Michael Lewis, das in der deutschen Übersetzung sein eigentlich trockenes Thema den Lesern mit dem knackig-bitteren Untertitel „Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte“ anpreist.

Kleinanleger als Opfer

Obwohl sich die komplizierten Zusammenhänge nur für Insider und versierte Laien nachvollziehbar erschließen, ist Adam McKays Schilderung der Krise so spannend wie ein Krimi. Man merkt schnell, dass McKay mit seinem Film möglichst viele Menschen erreichen will, vielleicht, um sie für die Mechanismen des Marktes zu sensibilisieren, der während der Krise nur einigen wenigen noch Gewinne bescherte, dafür Kleinanleger und naive Kreditnehmer als blutige Opfer ausspuckte.

American Way of Großkotz

Vor allem im ersten Drittel wählt McKay einen hochsuggestiven, nervösen Ton und zeigt die Welt des schnöden Mammons als abstoßende Glitzerfassade. In schnellem Rhythmus montierte Fetzen aus Musikvideos und Werbeclips präsentieren den American Way of Life als großkotzige Event-Show, in der halbnackte Frauen Banknoten aus Spielzeugpistolen auf taffe Rapper abfeuern, die, mit dicken Goldketten behängt, über nichts anderes als Money reimen.

Musik erklärt die Ökonomie

Dann gibt es Szenen, in denen sich freundlich lächelnde Pop- und Filmsternchen wie Selena Gomez ans Publikum wenden, um schwierige ökonomische Vorgänge anschaulich darzulegen, und manchmal haut McKay uns seine Meinung regelrecht durch den Einsatz bestimmter Musikstücke um die Ohren. Während beispielsweise ein paar junge Banker dem skeptischen Trader Mark Baum (Steve Carell) feixend berichten, wie sie ein paar mittellosen Tänzerinnen in Stripclubs Darlehen verkaufen, läuft im Hintergrund der Song „Crazy“ von Gnarls Barkley.

Dennoch ist „The Big Short“ kein moralinsaures, filmisches Pamphlet, sondern ein außergewöhnlich unterhaltsames, oft beißend ironisches, dennoch seriöses Gesellschaftsporträt, ein aufwühlender Ritt durch die Kulissen des Kapitalismus.

Haie aus Fleisch und Blut

Dieses Vorgehen ist nicht neu, in den vergangenen Jahren widmeten sich Filmemacher wie Oliver Stone („Wall Street: Geld schläft nicht“), Martin Scorsese („The Wolf of Wall Street“) oder J. C. Chandor („Margin Call“) den Machenschaften der Finanzhaie. Doch in seiner umfassenden Darstellung ist „The Big Short“ bislang unübertroffen. Ähnlich wie Scorsese gelingt es McKay, die unterschiedlichen Typen vom Klischee des aalglatten, langweiligen Bankers abzulösen und sie in individuell motivierte Charaktere aus Fleisch und Blut zu verwandeln.

Christian Bale spielt Michael Burry als soziopathisch veranlagten Nerd, der sich den Anzugträgern mit Hilfe seiner Intelligenz widersetzt, genauso glänzt Brad Pitt als Ex-Banker Ben Rickert, der ein letztes Mal in die ihm verhasste Szene eintaucht, um zu beweisen, dass er immer noch imstande ist, die Gier der anderen Menschen für seine Zwecke zu nutzen. Auf die Frage zweier Nachwuchszocker, warum er ihnen durch seine Tipps zum großen Reibach verholfen hat, antwortet Rickert lapidar: „Ihr habt gesagt, ihr wolltet reich sein. Jetzt seid ihr reich.“

The Big Short. USA 2015. Regie: Adam McKay. Mit Christian Bale, Marisa Tomei, Brad Pitt, Ryan Gosling, Karen Gillan, Steve Carell, Melissa Leo, Rafe Spall. 131 Minuten. Ab 6 Jahren.