Bei Gefechten zwischen syrischen und türkischen Truppen bei der von Rebellen gehaltenen Provinz Idlib sind 19 Menschen gestorben. Der Konflikt könnte sich zu

Idlib - Im Nordwesten Syriens droht ein neuer Krieg. Bei einem Gefecht zwischen türkischen Truppen und syrischen Regierungseinheiten in der Grenzprovinz Idlib starben in der Nacht zum Montag mindestens 19 Soldaten. Es war der erste größere Zusammenstoß der Armeen beider Länder seit Beginn des Libyen-Konflikts vor fast neun Jahren.

 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, der Vormarsch seiner Soldaten im Nachbarland werde weitergehen. Die Eskalation könnte die türkisch-russischen Beziehungen in einer Krise stürzen – und die Türkei in weitere Schwierigkeiten bringen. Erdogan hatte am Sonntag mehrere Militärkonvois nach Idlib geschickt, wo die Türkei nach einer Vereinbarung mit Russland zwölf Militärposten unterhält. Laut Medienberichten überquerten hunderte türkische Militärfahrzeuge die Grenze in die syrische Provinz, darunter Tieflader mit Panzern.

Die Türkei will den Vormarsch von Assad stoppen

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, türkische und syrische Truppen seien östlich der Stadt Sarakib aufeinander gestoßen. Fünf türkische Soldaten und ein ziviler Militärangestellter starben; die Beobachtungsstelle meldete zudem 13 getötete syrische Soldaten. Erdogan sagte, es seien mehr als 30 syrische Soldaten umgekommen.

Mit dem Einmarsch reagierte die Türkei auf militärische Erfolge der syrischen Regierungsarmee in Idlib, der letzten Bastion der Rebellen in Syrien. Zuletzt hatten die syrischen Truppen mit russischer Unterstützung die Stadt Maraat al-Numan an der strategisch wichtigen Fernstraße M5 eingenommen. In Idlib, das größtenteils von islamistischen Gruppen beherrscht wird, leben rund drei Millionen Menschen.

Mehrere hunderttausend von ihnen suchen bereits Schutz an der geschlossenen türkischen Grenze, doch die Kämpfe rücken immer näher: Sarakib liegt nur etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Ankara will den syrischen Vormarsch in der Provinz stoppen, um einer neuen Massenflucht von Syrern in die Türkei vorzubeugen. Zudem will Erdogan in Idlib eine endgültige Niederlage der Rebellen gegen die syrische Armee verhindern und damit die Position der Türkei in anstehenden Entscheidungen über eine Nachkriegsordnung in Syrien stärken.

Syrische Regierungstruppen als Ziele

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar reiste am Montag zusammen mit hochrangigen Generälen an die syrische Grenze. Erdogan sagte, als Vergeltung für den Tod der türkischen Soldaten habe die Armee 46 Ziele in Syrien unter Beschuss genommen. Die türkischen Militärs werden nach seinen Worten ihre Intervention in Idlib fortsetzen. Ein Sprecher von Erdogans Regierungspartei AKP sagte, ab sofort würden die syrischen Regierungstruppen in der Umgebung der türkischen Militärposten als „Ziele“ betrachtet.

Erdogan unterstrich ausdrücklich, das Ziel seiner Soldaten seien die syrischen Regierungstruppen, nicht die russischen Militärs in Syrien. Russland solle sich aus der Konfrontation in Idlib heraushalten. Dennoch könnte das Gefecht in Sarakib schwere Folgen für das Verhältnis zwischen der Türkei und Russland haben. Die beiden Länder arbeiten im Syrien-Konflikt seit Jahren eng zusammen, obwohl die Türkei den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad anstrebt und Moskau Assad unterstützt. Russland tolerierte drei türkische Militärinterventionen zur Bekämpfung der syrischen Kurdenmiliz YPG.

Konflikt mit der Russland

In Idlib treten die Interessengegensätze der beiden Seiten jedoch offen zutage. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es sei nicht vorab über den türkischen Einmarsch in Idlib informiert gewesen. Die türkische Armee sagte laut Medienberichten in einem anderen Landesteil von Syrien eine geplante gemeinsame Patrouille mit russischen Soldaten ab. Erdogan besuchte am Montag die Ukraine und verurteilte die russische Annexion der Krim-Halbinsel von 2014 als illegal – ein Thema, zu dem sich die türkische Führung aus Rücksicht auf Russland bisher eher leise geäußert hatte.

Der Kreml wies Erdogans Äußerung umgehend zurück. Ein wichtiger Pfeiler der bisherigen türkisch-russischen Zusammenarbeit ist das gute persönliche Verhältnis zwischen Erdogan und dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Die beiden haben sich in den vergangenen Jahren mehr als ein Dutzend Mal getroffen – zuletzt besuchte Putin vor knapp einem Monat die Türkei – und telefonieren häufig miteinander.

Die Türkei will sich gegen die kurdische YPG absichern

Nach dem Gefecht in Idlib gab es nach russischen Angaben jedoch keinen direkten Kontakt zwischen den Präsidenten. Sollte Russland seine Haltung zu türkischen Engagements in Syrien ändern, würde Ankara in eine schwierige Lage kommen. Die syrische Regierung fordert seit langem den Abzug aller türkischer Soldaten aus dem Land. Dagegen besteht die Türkei auf einer militärischen Präsenz in Syrien, um gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG vorgehen zu können.

Ohne grünes Licht aus Russland, die entscheidende Militärmacht in Syrien, wäre dies jedoch unmöglich. Eine Verschlechterung in den Beziehungen zu Russland würde Ankara zudem außenpolitisch isolieren, nachdem sich das Verhältnis der der Türkei zu den USA in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert hatte.