Mit seiner Band Dead Kennedys hat er den Punkrock an der amerikanischen Westküste groß gemacht und politisch aufgeladen. Jetzt ist der US-Agitpunkkämpe Jello Biafra in Stuttgart aufgetreten.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Jello Biafra ist nicht verstimmt, nicht betrübt, nicht angesäuert und nicht verärgert. Er ist einfach nur richtig wütend. Über alles, was in der Welt schiefläuft. Er schäumt jedoch nicht, er zetert weder noch dass er keift, es ist vielmehr die mit Verve versehene hämische Bauernschläue, die seinen Botschaften am Sonntagabend im bestens gefüllten Stuttgarter Club Universum Eindringlichkeit verleiht.

 

Vier Wegmarken hat Jello Biafra zu diesem Zwecke in sein Gastspiel gepflockt. Allesamt sind es Songs der Dead Kennedys, jener Band, mit der er den Punk an der amerikanischen Westküste groß gemacht und seinen Ruf auch als namhafter politischer Aktivist und Vortragsredner begründet hat, der für Bürgerrechte und gegen Zensur schon so manchen Strauß ausgefochten hat. Ein echter Veteran der Bewegung ist der Mann mittlerweile, der (wenn’s nicht stimmt, ist es zumindest gut erfunden) sich schon als Kind für Außenpolitik interessierte und nur zufällig zur Musik fand, als seine Eltern im heimatlichen Colorado irrtümlich im Radio einen Rocksender einschalteten. Einen langen Marsch hat Eric Reed Boucher alias Jello Biafra seitdem hinter sich, als stilprägender Musiker ebenso wie als Stachel im Fleisch der konservativen amerikanischen Gesellschaft, die ihn zwar gängeln, unter fadenscheinigen Vorwänden sogar vor Gericht zerren, aber nie mundtot machen konnte.

Erster Meilenstein: „California über alles!

Den ersten Meilenstein auf dieser Wegstrecke, das Lied „California über alles“, serviert er recht rasch nach Konzertbeginn. Die Dead Kennedys beschworen in ihrer Debütsingle 1979 (!) die Allmachtsfantasien des kalifornischen Gouverneurs Jerry Brown, Jello Biafra streut den Song bald vierzig Jahre später beiläufig als erstes Stück mit Wiedererkennungswert ein in das bis dahin zwar sehr druckvolle, aber amorph dahinrumpelnde Tagwerk der vier namenlosen Musiker, die als seine aktuelle Band namens Guantanamo School of Medicine fungieren. Das Oberrumpelstilzchen Biafra, bald sechzig Jahre alt aber von staunenswerter Vitalität, nutzt den Song als Matrize, um eine erste Portion Ärger vom Stapel zu lassen. Er wettert, vom Ku Klux Klan über die National Front, über die Flüchtlingsproblematik in Griechenland wie an der amerikanisch-mexikanischen Grenze, über die Waffenlobby bis hin zum modernen Popmusikgeschäft, dessen Protagonisten und deren Vermarkter ihr „Hirn in einem Käfig eingeschlossen haben“.

Zu fortgeschrittener Stunde setzt am Tag des Herrn dann auch Herr Biafra zu seiner Sonntagspredigt an. Ziel der Tirade, die in ihrer Länge das folgende Stück locker in den Schatten stellt, ist, Ehrensache, sein neuester Intimfeind Donald Trump. Er wird von Biafra „Trumpenstein“ tituliert und als Kretin abgestempelt, zugleich breitet der Sänger jedoch eine Argumentationskette aus, die den Präsidentschaftskandidaten in einem dermaßen schäbigen Licht dastehen lässt, dass man jeden seiner potenziellen Wähler fast schon bemitleiden möchte. Unvermittelt bändigt die Band Biafras wasserfallartigen Redefluss und stimmt „Nazi Punks fuck off“ an, den zweiten Meilenstein aus dem Repertoire der Dead Kennedys, ein herrlich bollernder Klassiker, sinnfällig von Biafra im Refrain zu „Nazi Trumps fuck off“ abgewandelt, die Austauschbarkeit der Führer wie der Herden illustrierend; beiläufig und doch gerissen lässt er seine Botschaften ins Publikum hageln, mehrfach gerät er so in Emphase, dass ihm der Mikrofonstöpsel aus dem Kabel reißt und sein Bühnentechniker das Ganze wieder flicken muss.

„Holiday in Cambodia“ als Zugabe

„Holiday in Cambodia“ beschließt die erste Zugabe, der letzte der drei großen Hits seiner früheren Band. Südostasiatische Luftfeuchtigkeitswerte im dampfheißen Universum, das längst wie ein Iltisbau müffelt, zerschwitzte Leiber inmitten erbarmungswürdiger Orkanlautstärke, die vorletzte Moralpredigt. Zielscheibe ist diesmal der Fanatismus. „Ansbach, München, Nizza, Paris – Afghanistan gar nicht zu erwähnen“: der offenkundig bestens informierte Kalifornier kennt die kleinen wie die großen Orte des Schreckens auf den Landkarten. Man wünschte sich ein paar seiner künstlerischen Epigonen in den Saal, die sich hier eine Lektion in Sachen aufrechte Haltung hätten abholen können von jenem Mann, der feixend verkündet, dass er „schon so verdammt alt“ sei, dass er erst den Protest der Hippies hinter sich bringen musste, ehe er den Protest der Punkrocker abhaken konnte.

Die US-Gefängnisindustrie, das europäische Bankensystem und die vermeintlichen Rebellen vom „IS“ kriegen schließlich ihr Fett weg, die jüngere Generation (wenngleich in einem mit sehr gereiftem Publikum bestückten Konzertclub beinahe nicht vorhanden) kriegt an diesem köstlichen Abend, der zu gleichen Teilen Spoken-Word-Performance und Konzert ist, noch den klugen Ratschlag erteilt, sich auf Facebook nicht mit Gleichgesinnten auszutauschen, sondern lieber mit Menschen, die die eigene Meinung nicht teilen.

Ein Mineralwasserfläschchen als imaginärer Molotowcocktail

Zum Abschluss der zweiten Zugabe und der fast zweistündigen Performance rammt Biafra den letzten der vier Orientierungspfeiler ein. „Riot“ vom frühen Dead-Kennedys-Album „Plastic Surgery Disasters“, veröffentlicht 1982, bald eine Ewigkeit her. Nicht nur Schönheitsoperationen können im Desaster enden, politische Willensbekundungen ebenso, wenn die Seelen überkochen und Protest in blindwütige Aggression umschlägt. Vielleicht sind wir ja auch in der vermeintlich so zivilisierten westlichen Welt gar nicht mehr allzu weit davon entfernt, lehrt Biafra. „Riot – the unbeatable High“: im Refrain kondensiert Jello Biafras Lebensmaxime. Er bellt ihn ins Mikrofon, drillt dabei ein Stück Papier zu einer Lunte zusammen, stopft es in sein Mineralwasserfläschchen, feuert diesen imaginären Molotowcocktail ins Publikum und trabt von der Bühne. Eine letzte Geste eines echten Punks.