Popsüßigkeiten in Dur und Moll. Die großartige schottische Band Belle and Sebastian hat im ausverkauften Berliner Admiralspalast dem Publikum einen bezaubernden Abend bereitet.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Berlin - Am Ende wird Stuart Murdoch davon singen, dass er sich wünscht, dass die Welt doch bitte mal eben aufhörte, sich zu drehen. Mit dem Verweile-doch-du-bist-so-schön-Lied „I want the World to stop“, das sich von einer bittersüßen Ballade in eine hinreißende Popsuite verwandelt, beenden Belle and Sebastian ihr Konzert am Samstagabend im ausverkauften Berliner Admiralspalast, steigen in den Tourbus, um an einem anderen Tag in einer anderen Stadt ein anderes Publikum glücklich zu machen.

 

Zuvor hat Stuart Murdoch eine kleine, etwas andere Berlin-Dia-Show vorgeführt, Fotos von alten Plattenbauten aus DDR-Zeiten gezeigt („erinnert mich total an meine Heimatstadt Glasgow“) oder von Menschen, die an der Spree in der Sonne liegen („ihr solltet wissen, selbst jetzt lauert irgendwo der Sommer“). Der Mann, der einst als der schüchternste Junge der Welt galt, hat dezent mit den Berlinern geflirtet, seine neuesten Tanzschritte vorgeführt, Werbung für die neue Platte „How to solve our human Problems“ gemacht, und seinen Gitarristen Stevie Jackson dazu genötigt, sein wildestes Rock’n’Roll-Geheimnis preiszugeben: „Ich bin süchtig nach Kamillentee“, hat dieser daraufhin verraten.

Ein unrettbarer Romantiker, der sich als Misanthrop tarnt

Es ist ein freudiges Wiedersehen in Berlin. Vor vier Jahren war Murdoch schon einmal im Februar zu Besuch in der Stadt – allerdings nicht als Musiker, sondern als Filmemacher. Damals hatte er auf der Berlinale den Film „God help the Girl“ vorgestellt. Darin erzählte er von Eve, einem still-prätentiösen Mädchen, deren Songs ihr Tagebuch sind, und von James, einem unbeholfenen Bademeister und unrettbaren Romantiker, der sich als Zyniker und Misanthrop tarnt und Sachen sagt wie „Es gibt nichts Langweiligeres als die Träume anderer Menschen“. Und wer den Film gesehen hat, bei dem Murdoch irgendwo zwischen Wes Anderson und Sofia Coppola seinen Platz sucht, wird sich seither wahrscheinlich immer Belle and Sebastian wie diese beiden vorstellen.

Tatsächlich hat sich Murdoch den Namen bei einem französischen Kinderbuch geborgt und damit schon klar gemacht, dass diese Band im Herzen das Gegenteil von Rock’n’Roll ist. Die Songs von Belle and Sebastian führen auch an diesem Abend wieder die Kunst der Beiläufigkeit, des Unaufdringlichen, der sanften Verzauberung vor. Die seltsam-schönen Popkostbarkeiten des Stuart Murdoch klingen mal kindlich-naiv, mal barock-opulent, führen aber stets sorgfältig inszeniert eine empfindsame Seele, ein verletztes Ich vor.

Ein bisschen Rock’n’Roll schleicht sich doch in die Lieder

Und natürlich gibt es bei dem Konzert in Berlin nicht nur Dias und Tanzeinlagen zu sehen, sondern auch jede Menge wunderschöne Lieder zu hören. Live funktionieren Murdochs gesammelte Indiepop-Fantasien aus über zwanzig Jahren ganz ausgezeichnet – vom charmanten Opener „Nobody’s Empire“, der verrät, dass in jedem Stolpern Schönheit lauert, über das folkige „Piazza, New York Catcher“ und das schrullige Singspiel „Step into my Office, Baby“ bis zu „The Party Line“, bei dem Synthiepop aus den 1980er Jahren auf hibbelige Orange-Juice-Gitarren trifft. Und immer wieder schleicht sich dann sogar doch ein bisschen Rock’n’Roll in die Stücke ein, verwandeln sich die eigentlich so sanften Popsongs für ein paar Momente in krächzende Boogies, lassen sich auch mal von störrischen Blueslicks oder pfeifenden Feedbackgitarren übertönen.

Achtung, jetzt wird es elektronisch!

Belle and Sebastian stehen in Berlin zu neunt auf der Bühne, während hinter ihnen abwechselnd stilvolle Fotocollagen und Videoclips eingeblendet werden oder sich die Videowand ein eine Art Op-Art-Tapete verwandelt. Immer weder werden die Songs mit Querflöte, Trompete, Melodica oder Geige verziert. Bei neuen Songs wie dem von Breakbeats durcheinandergewirbelten „We are beautiful“ oder dem mit 70s-Funks aufgeladenen „Sweet Dew Lee“ kommen dagegen mehr und mehr Elektronik und Synthies ins Spiel. Wertkonservative Belle-and-Sebastian-Hörer müssen sich daran erst noch gewöhnen. Doch sachte wurde man darauf vorbereitet. Das neue, am vergangenen Freitag erschienene Album „How to solve our human Problems“ ist eigentlich gar kein Album, sondern eine Trilogie, die aus drei EPs besteht, die in den letzten Monaten nach und nach veröffentlicht wurden. Und beim Berliner Konzert begnügen sich Belle and Sebastian damit, nur drei der neuen Songs zu spielen.

Wer noch nicht so weit ist, sich darauf einzulassen, kann sich live an die Klassiker halten. Etwa das sanft schunkelnde „The Boy with the Arab Strap“ und das bittersüße „I don’t love anyone“ – eine wunderschöne Depressionshymne, die vom Debütalbum „Tigermilk“ aus dem Jahr 1996 stammt. „Ich stehe zwar nicht mehr hinter dem, was ich in dem Songs singe“, gibt Murdoch zu, „aber die Nummer hat einen schönen Groove, wir spielen sie deshalb einfach trotzdem.“

Die fabelhafte Welt des Stuart Murdoch

1968 geboren, gründet Stuart Murdoch 1996 in Glasgow die Band Belle and Sebastian. Den Namen hat er sich bei Cécile Aubrys Kinderbuch „Belle et Sébastian“ ausgeliehen.

1996 erscheint das Debütalbum „Tigermilk“ noch in einer Miniauflage von 1000 Exemplaren. Bereits einige Monate später erscheint das zweite Album „If you’re feeling sinister“, das vom Musikmagazin „Spin“ später zu einem der 100 besten Alben der Jahre 1985 bis 2005 gewählt wird.

Zu den besten Alben von Belle and Sebastian zählen außerdem „The boy with the Arab Strap“ aus dem Jahr 1998 und „Dear Catastrophe Waitress“ von 2003.

Soeben ist das Album „How to solve our human problems“ (Matador/Beggars) erschienen.