Gemma Ray frischt den düsteren Sechzigerjahre-Appeal einer Nancy Sinatra auf und spielt im Stuttgarter Café Galao ein wahrlich durchdringendes Konzert – was eigentlich erstaunlich ist.

Stuttgart - Gammastrahlen sind, wie in der Physik so üblich, nicht zu sehen, sondern allerhöchstens zu spüren. Es sind ziemlich durchdringende Teilchen, die sprichwörtlich durch Mark und Bein gehen. Weshalb dieser Ausflug in die Naturwissenschaften? Schnell erklärt: Auch das Konzert von Gemma Ray, nomen est omen, ist eher was zum Spüren. Gemmastrahlen, gewissermaßen. Was im Stuttgarter Café Galao am Mittwoch natürlich nicht nur daran liegt, dass Konzertbesucher im hinteren Teil des Cafés das Bühnengeschehen höchstens ausschnittweise betrachten können.

 

Bevor die Engländerin ihre von düsterem Country, Blues, Folk, Gothic und Americana befeuerten Moritaten vortragen darf, ist Geduld geboten. Galao-Besitzer Reiner wurschtelt auf, neben und vor der Bühne rum, sein iPad-Mischpult will mal wieder nicht so wie er. Das Publikum nimmt es launig bis ungeduldig („Die letzte S-Bahn ins Remstal fährt in einer Stunde!“), für Gemma Ray und ihre zwei Mitmusiker ist das trotzdem unglücklich. Wer spielt schon gern dreimal den selben Song zum Soundcheck an, vor voller Bude?

Die ganz in Schwarz gekleidete Sängerin (schwarze Haare und Schminke sind eh obligat) verzieht indes keine Miene. Eine, die von Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page wärmstens empfohlen wird, die mit den Bad Seeds von Nick Cave gemeinsame Sache macht und mit der Jon Spencer Blues Explosion oder Grinderman auf Tour war, lässt sich von zickiger Technik nicht aus der Ruhe bringen.

Und dann geht’s wirklich los

Erstaunlich, dass sie nach Konzerten unter anderem in der Manufaktur im kleinen Galao Station macht. Und ein wahrer Glücksfall. Der Sound ist raumfüllend. Als stünde man in einer Bar in der Serie „Twin Peaks“. Elegisch beginnt es, beinahe ein Antiklimax nach all der Wartertei, aber doch ein cleverer Einstieg: „Come Caldera“ vom aktuellen Album „The Exodus Suite“ ist eine hypnotisierende, mantraeske Anrufung, eine von Orgel und Gesang durchgeführte Beschwörung jener fiktiven Göttin, von der diese junge Dame besessen ist.

Ganz im Sinne weiblicher Totenbeschwörer wie Chelsea Wolfe oder Anna von Hausswolff hat sich auch Gemma Ray zuletzt deutlich der Dramatik, der Tragik, der Apokalyptik verschrieben. Ob man es Folk Noir, Southern Gothic oder Americana nennt: ihre Begeisterung für Lee Hazelwood, Nancy Sinatra, für den Beat der alten Girl Groups und den Surf-Sound Kaliforniens konterkariert sie mit der surrealen Welt eines David Lynch und viel Abgründigkeit. Ihre Arrangements bekommen einen hübsch dunklen Anstrich, erinnern auch immer wieder daran, dass sie nun mal aus England kommt. Und wie schon Holly Golightly gezeigt hat, klingt die britische Variante von Country und Blues nun mal anders. Schmecken nach miesem Wetter, Regen und bitterem Schwarztee.

Einsam verhallt jeder einzelne Ton ihrer Gitarre, Akkorde tropfen, satt und voll ist der Sound, obwohl nur ein surrenden Synthesizer und ein zurückhaltendes Schlagzeug sekundieren. „There Must be More Than This“, „We Are All Wandering“ oder „We Do War“ heißen ihre Stücke, die sie mit viel Gefühl und in der Pose einer PJ Harvey vorträgt, die Augen oftmals geschlossen. Der Körper wiegt sich bedächtig im Takt dieser melodramatischen, verlorenen Songs, die Hand ist beinahe unablässig am Vibrato-Hebel ihrer großen Harmony-Rocket-Gitarre. Die bearbeitet sie unter anderem mit einem Metzgermesser, des Effekts wegen. Große Ansagen gibt es nicht und wenn doch, dann wirkt sie anfangs fast schüchtern. Später folgen Geschichten von großen Katzen in Frankfurts nächtlichen Wäldern, die ähnlich nahe an der Verstrahltheit sind wie ihr Name.

Seit einigen Jahren lebt die Britin im Berliner Exil, mittlerweile klingen ihre Stücke nicht mehr so ungehemmt nach den Sixties, nach dem nostalgischen Flair der Girl-Groups. Das Licht ist ausgegangen in ihrem Sound, der Beat seltener zu hören, Twang und Surf-Gitarren blitzen nur noch vereinzelt auf. Das macht nichts, auch dieser Rahmen steht der 1980 geborenen Sängerin. Mal ein Walzer-Takt, mal ein wenig Cha-Cha-Cha, mal ungeniert poppig, mal verklärt, zumeist aber melancholisch, getragen, surreal, hypnotisierend. Bei ihr klingt alles ganz leicht, nonchalant schüttelt sie ihre ernsten Lieder aus dem Ärmel. Das bleibt im Publikum nicht ohne Wirkung. Gequatscht wird höchstens hinten an der Tür, der übrige Raum goutiert einen bittersüßen Auftritt. Mit unerwiderter Liebe kann sich ja irgendwie doch jeder identifizieren. Leider. Also noch schnell eine Platte eingepackt und daheim weitergelitten.

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