Wer auf ein Konzert von Junip geht, hat Musikgeschmack. Die Band ist auf dem besten Weg vom Insider-Tipp zu einer festen Größe im Indie-Folk-Popkosmos. Das liegt nicht nur daran, dass man die Musik von Songwriter José González aus der Werbung kennt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Rehe gelten als scheue Tiere und sind in dieser Eigenschaft José González nicht unähnlich. Der Musiker ist Chef der Band Junip, die eigentlich aus drei Personen (neben González sind das Schlagzeuger Elias Araya und Tobias Winterkorn an den Synthesizern) besteht und für die aktuelle Tour zum Sextett erweitert wird. Bei dem Konzert in den Wagenhallen in Stuttgart steht González zwar ganz vorne, spielt die Akustikgitarre und singt. Den Anheizer gibt er aber nicht. Das würde auch gar nicht passen zu den Junip-Songs, die selbst scheu wie ein Reh beginnen und sich dann als souverän komponierte, bald laut auf einen Höhepunkt zustrebende Mini-Geschichten erweisen. Das Reh, das beim letzten Konzert der aktuellen Deutschland-Tour vom Vorhang herunterblickt, ist also genau richtig.

 

Die schwedische Band, die 2005 mit ihrer ersten EP herauskam, spielt nicht virtuos im Sinne von meisterhaft inszenierten, auf Effekt gebürsteten Soli. Genau genommen hört man den ganzen Abend über kein einziges Solo. Der Songwriter González, der als Sohn argentinischer Einwanderer in Göteborg aufwuchs, ist von der Mentalität her mehr Schwede als Latino. Seine Lieder fließen in einer Mischung aus Indie und Folk dahin und bauen sich zu etwas viel Größerem auf; ehe man sich versieht, geht man bei den Songs voll mit. Dafür brauchen Junip keine ausgefeilte Bühnenshow; im Gegenteil: Gerade weil die Musiker sich beim Spielen nicht von der Stelle bewegen, stehen die Musik und ihre Energie im Vordergrund. So wie zum Beispiel bei der im Spätwinter veröffentlichten Single „Line of Fire“.

Das kennt man aus der Werbung

Junip-Musik gräbt sich unterschwellig ins Bewusstsein, auch ohne die großen Mitsing-Melodien. Hier geht es ums Gefühl, ums große Ganze, wenn man so will: Musik für Soundtracks oder für Telefonwerbung. Tatsächlich liefen Junip-Songs schon zu Spots des TV-Anbieters Sky und der Telekom sowie in einem Teaser zur Serie „Breaking Bad“; und auch González’ Solo-Songs sind bei Machern von Fernsehserien ebenso beliebt wie bei Regisseuren von Werbeclips.

Hier muss natürlich gleich angemerkt werden, dass Junip nicht in die Ecke „Fahrstuhlmusik“ gedrängt werden dürfen. Diese Band betont ihre Musikalität; es geht wirklich um Wohlklang und die perfekte Mischung von Folk, Pop und Synthesizern; eine zurückgenommene Musik, die auch daran erinnert, dass der Spätsommer gerade an den Herbst übergibt.

Auch rein phänomenologisch gibt es in den Wagenhallen viel zu entdecken – auf der Bühne und davor. Oben hantiert die Tourband unter anderem mit Blockflöten und Shakern, die aus der Ferne aussehen wie Kokosnüsse. Im Publikum findet sich neben viel Stuttgarter Musikszene die beste denkbare Mischung aus hip und stilsicher; die für ihre teils offensichtliche Missachtung des Musikprogramms hier wie anderswo gescholtene Jutebeutel-Fraktion fehlt fast völlig.

Von diesem Konzert erzählt man sich gern

Was nicht heißt, dass die Besucher dieses Konzerts nicht davon erzählen werden, dass sie bei Junip waren. Kulturelles Kapital will gepflegt sein, und Junip sind als Ausweis für popmusikalische Kennerschaft geradezu perfekt geeignet: Durchschnittshörern sagt die Band eher nichts, weil sie nicht im Mainstream-Radio läuft; Musikkennern kann man mit dem Namen José González durchaus kommen.

Den Veranstaltern des Büros Popnotpop, die im November wieder das gleichnamige Clubfestival veranstalten, sei für solche Konzerte ausdrücklich gedankt. Auch wenn die Gästeliste am Montagabend ziemlich lang ist: Das Konzert von Junip beweist, dass man mit Bands jenseits des Mainstreams nicht nur kleine Clubs vollkriegt (so wie beim letzten Junip-Konzert im Schocken anno 2010, damals veranstaltet von Melt!Booking), sondern auch etliche hundert Fans in die Wagenhallen bringt.

Say Yes Dog wird man in Stuttgart gewiss wiedersehen

Die Vorband Say Yes Dog hatten Junip freilich selbst mitgebracht. Die aus Luxemburg stammende Combo macht von House und Electro inspirierten Pop, der einschlägig bewanderten Hörern sofort ins Ohr geht – Hipster-Schlager könnte man dazu ein wenig abfällig sagen.

Das soll hier aber eher als Lob verstanden sein, denn das Trio tut viel dafür, um einen eigenständigen Swing hinzubekommen – trotz ihres nach einer Mischung aus Paul Kalkbrenner und Sizarr klingenden Middle-of-the-Road-Electropops. Dazu gehört der Bass von Paul Rundel, bei dem jeder einzelne Anschlag so picky rüberkommt, dass er fast nach einer übertrieben heruntergestimmten Gitarre klingt. Für einen angenehmeren Sound legt Pascal Karier außerdem ein Frottee-Handtuch auf die Snaredrum. Dass die ersten beiden Songs des Stuttgart-Konzerts zumindest auf der rechten Seite des Zuschauerraums so arg ruhig und gedämpft klingen, liegt allerdings daran, dass der Soundtechniker offenbar erst nach einigen Minuten den Master-Regler für die rechten Boxen hochschiebt.

Fazit: Diese beiden Bands will und wird man gerne in Stuttgart wiedersehen – wenngleich viel dafür spricht, dass die unter anderem Berlin-Festival-erfahrenen Say Yes Dog bei ihrem nächsten Besuch eher einen Club denn die Wagenhallen als Vorband beschallen werden.