Zum Abschluss der 900-Jahr-Feier in Fellbach hat es auch auch ein Glockenkonzert gegeben. Dabei mussten die Musiker auch mal einen Klettergurt anlegen.

Fellbach - Ein kühler Wind weht durch die Glockenstube der Lutherkirche. Es ist Sonntag kurz vor 15 Uhr. Zeit für den Stundenschlag. Doch heute ist alles anders. Im sonst so leeren Gebälk sind sechs Glöckner bereit für ein letztes Highlight der 900-Jahr-Feier: Ein Glockenkonzert – komponiert für die Kirchen in Fellbach, Schmiden und Oeffingen.

 

Alle fünf Glocken erklingen

Dirigent German Aleman senkt die Hände. Die Musiker ziehen an ihren Seilen. Alle fünf Glocken erklingen zum gemeinsamen mächtigen Akkord. Geschlagen wird mit Seilen, die an den Glockenklöppeln befestigt sind. Unten, am Fuß des Turms verklingt der Ton kurz darauf. Oben in der Stube ist es noch lange nicht still. „Liebe“, die größte und tiefste Glocke Fellbachs, klingt nach. Und wie! Ihre Schwingungen wandern durch das gesamte Gebälk. Es knarrt, schnarrt, summt und brummt. Das Tempo steigt an. Die Musiker an der „Liebe“ legen sich ins Zeug. Bei einem Durchmesser von knapp zwei Metern bedarf es enorme Kraft, den Klöppel von der Mitte bis zum Rand der Glocke zu ziehen. Wer braucht da noch ein Fitnessstudio?

Vergangene Woche erst kam der Komponist Llorenc Barber aus Spanien angereist und machte sich mit seinem alten Bekannten, dem Fellbacher Kantor Thilo Frank, ein Bild von Fellbachs Instrumenten. Das Ergebnis: 31 hängende Glocken in sechs Kirchen, dazu das Rathaus-Glockenspiel. Damit schrieb Barber innerhalb weniger Tage das Werk. 33 Glöckner fanden sich, um das Werk umzusetzen. „Die Jüngste ist 15, die Älteste 77 Jahre alt“, berichtet Thilo Frank. „Mit dabei sind Lehrer der Musikschule, Schüler des FSG, Interessierte und auch der Pfarrer der evangelischen Kirche Oeffingen.“ Eine Woche lang probten sie jeden Tag in ihren Glockenstuben. Das sorgte für manche Verwirrung, einmal rückte sogar die Polizei an.

Sichtkontakt zum Dirigenten besteht keiner

Über enge und steile Holzstufen geht es in der Lutherkirche hinauf. Beate spielt die Osterglocke – ganz oben im Turm. Um dorthin zu gelangen, muss sie eine Leiter hinaufsteigen und sich mit einem Klettergurt absichern. Sichtkontakt zum Dirigenten zehn Meter tiefer besteht keiner. Wie soll er Beate nun die Einsätze geben? Im 500 Jahre alten Gemäuer entsteht spontan eine moderne Lösung: ein Video-Anruf. German Aleman postiert neben dem Dirigentenpult sein Smartphone. Jetzt sieht er die jüngste Glöcknerin in luftiger Höhe.

Abwechselnd geschlagen entstehen Melodien. Die Partitur ist dabei nur eine grobe Richtschnur, denn was zählt ist die Emotion. „Wir haben den Bezug zu den Glocken verloren“, erklärt der Komponist den Hintergedanken. Früher läuteten Mönche mit langen Seilen für den Stundenschlag. „Heute macht das eine dumme Maschine.“ Mit seiner Komposition und der Art, wie die Glocken geschlagen werden, bringt er die Menschen und die geschichtsträchtigen Instrumente wieder zusammen. Gleichzeitig verbindet er ganz Fellbach, denn die Melodien und Akkorde wandern von Kirche zu Kirche und ergeben so ein städtisches Klangerlebnis – das allerdings wegen der Entfernung niemand in Gänze erfahren kann.

Die Glocken schwingen nach

Es ist Zeit für das große Finale. Um 15.38 Uhr fängt die „Liebe“ an, zu schlagen. Nach und nach steigen alle anderen Glocken mit ein, in Sankt Johannes, Paulus, Dreifaltigkeit, Dionysius und schließlich auch die Johanneskirche in Oeffingen. Alle schlagen so laut sie können, bis mit dem regulären Glockenschlag um 15.45 Uhr das Stück endet. Die Glocken schwingen nach. Die Glöckner sind erschöpft. Dann bricht es aus ihnen heraus. Sie jubeln und klatschen. Auch vom Kirchplatz schallt Applaus empor. Ein erhebender Schlusspunkt.