Die Königstraße knackt am Samstag fast die 100 000er-Marke bei der Passantenfrequenz, aber keiner kennt den Anteil des VVS-Freifahrscheins am Erfolg. Nur eines ist für Citymanager Hahn sicher: „Wir hatten eine tolle Atmosphäre in der Stadt.“

Eine Zone? Keine Zone? Kurzstrecke? Das Ehepaar aus Balingen formte synchron die Miene zu einem symbolischen Fragezeichen vor dem Ticketautomaten am Stadtbahnstopp Albstraße in Degerloch. Die Frau überstimmt den Mann und entscheidet nach kurzem Disput für Kurzstrecke. Damit wären sie zwar ohnehin nicht legal bis zum Schlossplatz gekommen, aber eine engagierte Passantin setzte dem Blindflug im Tarifdschungel ohnedies ein Ende: „Heut koscht’s nix.“ Doch nach der Erklärung zum kostenfreien ÖPNV reagierten die Balinger nicht etwa erfreut, sie bruddelten um die Wette: „Kann man das nicht irgendwo anschreiben?“, motzt die Frau. „Da könnte man doch Durchsagen machen“, ergänzt der Mann. „In der Zeitung ist auch nichts gestanden.“

 

Citymanager darf sich bestätigt fühlen

Das Beispiel ist Wasser auf die Mühlen des Citymanagers Sven Hahn. Grundsätzlich ist der ehemalige Journalist froh über die drei kostenfreien ÖPNV-Samstage, deren Finanzierung (750 000 Euro) der Gemeinderat möglich machte, aber Hahn hätte es besser gefunden, wenn im Budget auch noch die Werbekosten und die Evaluierung der guten Sache mit eingepreist gewesen wären. So aber bleibe zu viel Unwissen bei allen Beteiligten, findet Sven Hahn. Auf die Fragen, wie viele Besucher tatsächlich ihr Auto stehen ließen, wer mit einem Neun-Euro-Ticket kam und wer trotz aller Vergünstigungen trotzdem ein Ticket gelöst hat, gebe es keine befriedigenden Antworten.

Buchhändler schreien nicht Hurra

So bleiben nur das Gefühl oder Indizien. Etwa die Anzeigetafeln der Parkhäuser. Als Stichprobe dient das Parkhaus am Einkaufszentrum Milaneo: Am Nachmittag ist dort sonst kaum ein Platz frei. An diesem Samstag hätten gegen 16 Uhr noch 200 Autos Platz. Sind doch viele mit Bus und Bahn gekommen? Profitieren letztlich der Handel und die Gastronomie vom Freifahrschein? Auch hier dürfte die Bilanz – je nach Sortiment – unterschiedlich ausfallen. Während bei Breuninger offenbar gute Passantenfrequenzen zu beobachten sind, sieht es beispielsweise bei den Buchhändlern eher durchwachsen aus. Natürlich profitiert das Buchhaus Witter/Thalia vom enormen Auflauf auf dem Schlossplatz und auf der Königstraße. Die Festivals locken Massen. Aber die schaffen es nicht in die oberen Stockwerke des Traditionsbuchhauses. Lediglich im Erdgeschoss, da wo die Bestseller auf Leser warten, brummt der Laden.

Beschaulich geht es dagegen bei Osiander am Marktplatz zu. Selbst im Erdgeschoss stöbern gegen 16 Uhr nur vereinzelt Kunden. Vom kostenlosen ÖPNV spüre man heute noch nichts, meint die Dame an der Kasse. Es sei kein Vergleich zum ersten Mal, als die erste Zone des Tarifbundes kostenlos war.

Citymanager Sven Hahn mag dies nicht überbewerten. Für ihn ist an diesem Tag nur die Stimmung in der Stadt wichtig. „Zahlen spielen heute nicht die Hauptrolle“, sagt er, holt sein Smartphone hervor und recherchiert auf der Seite Hystreet.com nach den Passantenfrequenzen des Tages. Das Ergebnis: An der Messstelle Königstraße Nord kratzt der Spitzenwert knapp an der 100 000er-Marke. Nur 1107 Passanten pro Stunde fehlen zum sechsstelligen Wert. Aber im Vergleich zum Durchschnittswert (67 560) sind die Zahlen überragend.

Wie gesagt: Hahn will diesen besonderen Tag nicht für irgendwelche Aussagen in die eine oder andere Seite instrumentalisieren. „Wir haben heute in Summe mit allen Veranstaltungen und der langen Marktnacht eine echt schöne Atmosphäre in der Stadt geschaffen und den neuen Marktplatz erstmals schön bespielt. Daher bin ich sehr zufrieden.“ Kaum anders lautet das Fazit von Thomas Lehmann, Chef der städtischen Märkte GmbH: „In der Summe passt das heute alles.“

Auch die Beschicker sind zufrieden, obwohl der Marktplatz in der prallen Sonne wenig einladend ist. Erst nachdem die Sonne hinter dem Haufler-Gebäude verschwindet, wird es für die Besucher erträglich. Und mit der Dämmerung sowie der Extrabeleuchtung steigt auch die Stimmung. „Ich finde das Konzept der Marktnacht super, die Atmosphäre ist toll durch die sanfte Musik“, sagt Anna-Lisa Wenzler von Wein-Moment. Sie will auch im kommenden Jahr dabei sein.

Davon geht auch Karan Arora aus. Er verkauft „Stefans Käsekuchen“ an diesem Tag wie warme Semmeln. Sein Mitarbeiter macht im positiven Sinne die Scheibenwischer-Handbewegung. Schon um 16.30 Uhr melden beide: ausverkauft. Aber auch dieses Beispiel ist kein Muster mit Wert. Seit der Pandemie, seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und dem Anstieg der Inflation habe sich alles verändert, bringt der Gastronom Timo Weitmann die Lage auf den Punkt: „Fast alle, mit denen ich rede, sprechen von einem Rückgang des Umsatzes von durchschnittlich 15 Prozent.“