Die Stadtführerinnen Heidi Hellmann aus Bietigheim und Sabine Wacker aus Gerlingen sind die Antwort der Städte auf schwindendes Interesse an herkömmlichen Stadtführungen. Kostüme und Schauspiel machen die Tour zum Erlebnis.

Kreis Ludwigsburg - Heidi Hellmann reist regelmäßig ins 16. Jahrhundert. Wenn sie ihr rotes, samtenes Adelskostüm aus der Renaissancezeit überstreift, wird sie zu Hanna Hornmold, der Tochter des mächtigen Bietigheimer Vogtes Sebastian Hornmold. „Das war eine unruhige Zeit damals. Der Graf von Württemberg wurde zum Herzog“, erzählt sie. Seit sieben Jahren biete Hellmann im Auftrag der Stadt Bietigheim-Bissingen Führungen der besondere Art an: Bei Kostümführungen sollen die Besucher die Stadtgeschichten nicht nur nacherzählt bekommen, sondern zu einem kleinen Teil auch nacherleben können.

 

Viele Städte haben darauf reagiert, dass die herkömmlichen Stadtführungen bei den Besuchern immer weniger gefragt sind. Seit einigen Jahren machen sie die Führung zum Ereignis: Mit Kostümen, Schauspiel oder kulinarischem Angebot wollen sie die Gäste anlocken. Bietigheim-Bissingen konnte im vergangenen Jahr 6600 Gäste bei 390 Führungen verzeichnen. Darunter Kostümführungen mit Hanna Hornmold, Antonia Visconti, dem Nachtwächter oder der Magd Ursel, die zusammen mit beispielsweise Fachwerk– oder Weintouren unter dem Titel „Erlebnis- und Themenführungen“ laufen und etwa ein Drittel dieses Angebots der Stadt ausmachen. Die Kostüme erregten auch Aufmerksamkeit im Stadtbild und seien so schon allein durch die Präsenz Eigenwerbung, findet Hellmann: „Das ist wie ein Schneeballeffekt.“

Der Wettbewerb um die Besucher wird härter

Kontinuierlich baut die Stadt das Angebot an Kostümführungen aus: Neue Touren bedeuten neue Perspektiven – wer macht schon zweimal dieselbe Führung mit? Ludwigsburg hat die Idee der Kostümführung als erste Stadt im Landkreis umgesetzt: Bereits seit 2004 gibt es dort Touren mit historisch bedeutsamen Persönlichkeiten wie dem Stadtbaumeister Donato Giuseppe Frisoni. Fast jährlich kommt eine neue hinzu, mittlerweile gibt es acht verschiedene im Angebot – und dabei ist das Blühende Barock noch gar nicht mit eingerechnet. Andere Städte wie Vaihingen/Enz oder Steinheim ziehen jetzt nach – so wird der Wettbewerb um die Besucher noch härter.

„Die Anforderungen an eine Stadtführung sind heute höher als noch in den 80ern“, findet Hellmann. Zum einen wollten die Besucher auch Informationen jenseits der historischen Fakten, die sie im Zweifelsfall auch im Internet nachsehen könnten. Zum anderen könne man heute nicht mehr so viel historisches Hintergrundwissen bei den Besuchern voraussetzen. „Und dann muss man die Leute auch mehr einbinden als früher, in einen Dialog mit ihnen treten“, sagt sie. Die ehemalige Stadträtin muss es wissen, denn Hellmann war dabei, als die Stadt im Rahmen der Landesgartenschau im Jahr 1989 zusammen mit dem Geschichtsverein die ersten Führungen überhaupt entwickelte und anbot. Heute ist sie mit 80 Jahren wahrscheinlich die älteste Stadtführerin im Landkreis.

Eine andere Form der Kostümführung bietet Sabine Wacker aus Gerlingen an. Hier gibt es nicht Zepter, Charme und Barett, sondern Besen, Schwertgosch und Kopftuch: Als schwäbische Hausfrau Erna Schwätzele veranstaltet die 58-Jährige, die im richtigen Leben Grundschullehrerin ist, Mundart-Touren durch Gerlingen und Stuttgart.

Angela Merkel machte sie berühmt

Weitere Bekanntheit erreichte ihre Rolle durch Angela Merkels Satz von der schwäbischen Hausfrau als Vorbild für eine solide Finanzpolitik. Prompt wollten der Guardian und die Deutsche Welle mit Erna Schwätzele schwätzen. Und im ZDF hat sie mit ihrer Hausfrauen-Kollegin Diana Schneider in einer Kochsendung mitgemacht. Mittlerweile ist Frau Schwätzele so gefragt, dass Wacker auch bei Geburtstagsfeiern auftritt.

Erfahrungen als Schauspielerin oder gar Comedian hatte Wacker nicht, als sie von den konventionellen Stadtführungen auf die Mundartführungen umsattelte – nur ein gesteigertes Interesse an Stadtgeschichte und ein Talent, diese bei Privatführungen im Freundeskreis witzig zu verpacken. „Wenn man im Kostüm auftritt, kann man zu den Leuten ein wenig frecher sein“, erzählt sie. Die Besucher seien dann auch offener. Denn: „Die Leute wollen nicht nur was wissen, sie wollen auch unterhalten werden.“ Demnach sei bei einer Tour mit Erna Schwätzele auch alles drin, was man zu Architektur und Geschichte der Stadt wissen müsse, „nur eben ein bissle lustiger“. Falls es mal zu Verständigungsproblemen mit den Gästen komme, übersetze sie auch gerne vom Ur-Stuttgarterisch ins Hochdeutsche. Überhaupt müsse man sich als Stadtführerin bei jeder Tour anpassen – einmal ans Vorwissen der Gäste und bei Mundartführungen eben auch an ihre Kenntnis des Dialekts.

Beide – Wacker und Hellmann – wollen die Kostümführungen gerne noch eine Weile machen. Ihnen ist wichtig, mit ihrer eigenen Begeisterung für Geschichte das Interesse der Besucher zu wecken. Hellmann ist überzeugt: „Selbst wenn man in Bietigheim geboren ist, kann man bei den Stadtführungen immer noch etwas Neues über seine Stadt erfahren.“

Kostümführungen im Landkreis – eine Auswahl

Ludwigsburg
Die Kreisstadt bietet insgesamt acht verschiedene Führungen in historischem Gewand an, etwa mit der Küchenmagd Anna, dem Generalleutnant Karl von Linck, einem Offizier aus dem 19. Jahrhundert, oder der skandalumwitterten Reichsgräfin Wilhelmine von Grävenitz, die als Staatslenkerin und einflussreiche Mätresse des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg galt.

Bietigheim-Bissingen
Neben Hanna Hornmold führen auch Antonia Visconti, der Stadtbüttel oder Schwester Anna, die letzte Begine Bietigheims, durch die Stadt. Außerdem gibt es eine Tour mit einer Melusine, eine Prinzessin und Nixe, halb Fisch halb Mensch, deren Skulptur auf dem Fräuleinsbrunnen in der Bietigheimer Altstadt steht. Eine Tour begibt sich „auf die Spuren historischer Paare“.

Weitere Angebote
In Marbach gibt es Schiller-Führungen, Bönnigheim bietet unter anderem eine Tour zu einem im Jahr 1835 ermordeten Bürgermeister an, und in Markgröningen erzählt Johanna Pfizer aus dem Leben der Frau eines Stadtrats Anfang des 19. Jahrhunderts. Vaihingen/Enz bittet zur „Audienz bei Graf Gottfried“. Mehr zu Preisen und Terminen gibt es auf den Internetseiten der Städte.